Erster Eindruck des neuen spiegellosen Vollformat-Systems

Canon EOS R in der Praxis ausprobiert

Seite 2 von 2, vom 2018-09-07 (Autor: Benjamin Kirchheim)Zur Seite 1 wechseln

Des Weiteren ist die Canon EOS R alles andere als eine Sportkamera. Der Autofokus ist zwar schnell, die Serienbildleistung jedoch nicht sonderlich hoch. Ob hier das Leistungsgespann aus CMOS-Sensor und Bildverarbeitungsprozessor oder doch der Autofokus den limitierenden Faktor darstellt, ist nicht klar. Mit fünf Bildern pro Sekunde gewinnt die EOS R unterm Strich jedoch keinen Blumentopf. Hier zeigt Sony mit der Alpha 9, die im Serienbildmodus lautlos und ohne Unterbrechung des Sucherbilds arbeitet, wo die Messlatte hängt.

Apropos Sucher: Canon setzt wie Nikon auf ein 3,69 Millionen Bildpunkte auflösendes OLED und ein äußerst großes Sucherbild. Auch bei der EOS R steht der Sucher nach hinten ein gutes Stück über, sodass man nicht mit der Nase am Touchscreen klebt und diesen noch bequem mit dem Auge am Sucher bedienen kann. Durch die feine Auflösung vergisst man zuweilen, dass man durch einen Videosucher blickt. Seine Stärken spielt er beispielsweise dann aus, wenn das Umgebungslicht schwindet und man quasi eine Nachtsichtgerät-Kamera vor der Nase hat. Man erkennt mehr Details als mit dem bloßen Auge. Auch bei der Bedienung hilft der elektronische Sucher. So kann man nach Betätigung der M-Fn-Taste mit dem vorderen Einstellrad durch verschiedene Einstellungen scrollen und diese mit dem hinteren Rad anpassen. Durch die Einblendungen verliert man sein Motiv dabei nicht aus dem Auge und kann je nach Option die Auswirkungen, beispielsweise beim Weißabgleich, direkt im Sucherbild beobachten.

Diese Erleichterung der Bedienung wird mit dem neuen Fv-Modus fortgesetzt. Dieses flexible Programm (dafür steht das F) erlaubt jederzeit die Änderung einzelner Belichtungsparameter, man kann bequem zwischen Automatik und manueller Wahl wechseln. Damit werden alle klassischen Kreativprogramme im Fv-Modus vereint, sei es die Blendenautomatik, die Programmautomatik, die Zeitautomatik oder der manuelle Modus, jeweils wahlweise mit oder ohne ISO-Automatik.

Auch die neuen Objektive halten, was Canon verspricht. Selbst das F1,2 lichtstarke 50 mm ist bei Offenblende knackscharf und nicht mehr so weich, wie man es bisher von solchen Objektiven gewohnt ist. Das 50 mm besticht mit seinem weichen Bokeh, dem schönen Schärfe- zu Unschärfeverlauf und der knackigen Auflösung in der Schärfeebene. Dabei muss natürlich äußerst präzise fokussiert werden, wo die EOS R wieder ihre Stärke ausspielt. Da es sich um ein spiegelloses System handelt, wird direkt in der Bildebene fokussiert, womit Front- und Backfokusprobleme von DSLRs der Vergangenheit angehören. Die Schärfe sitzt perfekt. Bei Porträts unterstützt die Gesichtserkennung samt Augenautofokus den Fotografen, wobei letzterer unserem Eindruck nach nicht ganz so optimal arbeitet wie beim Konkurrenten Sony, die Augen werden nicht so häufig eindeutig erkannt. Hier sind also durchaus noch das gute Auge des Fotografen und seine "Handwerkskunst" gefragt.

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Das trifft bei den lichtstarken Objektiven vor allem auf das Gewicht zu. Das 50 mm F1,2 ist größer und schwerer als das 24-105mm-Standardzoom. Das 28-70 mm F2 ist sogar ein riesiger Trümmer. Das Objektiv war leider nur ein Vorserienmodell, sodass wir es zwar ausprobieren durften, mit einer endgültigen Beurteilung aber noch auf ein Seriengerät warten müssen. Es machte aber einen ähnlich guten Eindruck wie das 50er. Knackscharf und mit einem wunderschön weichen Bokeh. Wer das hohe Gewicht schleppen mag, bekommt zu einem nicht gerade niedrigen, aber durchaus angemessenen Preis ein einzigartiges Objektiv. Das Brot- und Butter-Objektiv 24-105 mm F4 braucht sich von der optischen Leistung her aber nicht zu verstecken. Auch hier bekommt der Fotograf eine hohe optische Leistung bereits bei Offenblende.

Fazit

Was lange währt, wird endlich gut, könnte man sagen. Die Canon EOS R macht einen runden Eindruck. Man hat nicht das Gefühl, einen ersten Versuch im "Neuland" mit entsprechenden Macken in den Händen zu halten, sondern ein ausgereiftes und ausentwickeltes Produkt. Canon zielt mit dieser Kamera wohl eher auf die anspruchsvollen Hobbyfotografen und weniger auf die Profis, vor allem die Sportprofis. Denn hier kommt die EOS R noch lange nicht an die Sport-DSLRs heran. Die Objektive sind jedoch sehr vielversprechend, vor allem optisch spielt Canon seine Stärken aus. Das macht die EOS R definitiv auch für Profis interessant, die sich höchste optische Leistung wünschen. Dass der EF-Adapter (zumindest anfangs) zum Lieferumfang der neuen EOS R gehört, ist sicher auch eine weise Entscheidung und erleichtert den Umstieg auf das spiegellose System, das man damit auch problemlos parallel zur DSLR verwenden kann, denn jedes der Systeme hat nach wie vor seine Stärken und Schwächen.


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Benjamin Kirchheim

Benjamin Kirchheim, 46, schloss 2007 sein Informatikstudium an der Uni Hamburg mit dem Baccalaureus Scientiae ab. Seit 1998 war er journalistisch für verschiedene Atari-Computermagazine tätig und beschäftigt sich seit 2000 mit der Digitalfotografie. Ab 2004 schrieb er zunächst als freier Autor und Tester für digitalkamera.de, bevor er 2007 als fest angestellter Redakteur in die Lübecker Redaktion kam. Seine Schwerpunkte sind die Kameratests, News zu Kameras und Fototipps.