Erster Eindruck des neuen spiegellosen Vollformat-Systems

Canon EOS R in der Praxis ausprobiert

2018-09-07 Mit der EOS R und sehr interessanten Objektiven wie einem F1,2 lichtstarken 50 mm sowie einem F2 lichtstarken 28-70mm-Standardzoom präsentierte Canon sein neues spiegelloses Vollformatsystem. Damit bekommen die ganz frische Nikon Z6 und Z7 sowie der bisherige Platzhirsch Sony mit der Alpha-7- und 9-Familie weitere Konkurrenz. Wir konnten bereits eine Serienkamera mit dem 24-105 mm F4 Standardzoom sowie dem lichtstarken 50 mm ausprobieren.  (Benjamin Kirchheim)

Bei Canon liegt laut eigener Aussage die Hauptkompetenz in der Konstruktion sehr guter Objektive, was man mit den neuen Modellen zeigen will. Das ist aus unserer Sicht auch im Vergleich zu Nikon und Sony das größte Herausstellungsmerkmal. Aber auch die Kamera macht einen runden Eindruck und verfolgt neue sowie moderne Konzepte bei der Bedienung, ohne dabei alte Canon-Hasen vor Rätsel zu stellen.

Die EOS R ist eine hochwertig konstruierte Kamera, deren Gehäuse aus einer robusten wie leichten Magnesiumlegierung besteht. Wie bei Canon üblich, ist die Kamera ein echter Handschmeichler, der Griff perfekt ausgeformt, sodass man auch die groß und schwer geratenen Lichtriesen problemlos halten kann. Der rückwärtige Touchscreen lässt sich schwenken und drehen, sodass er für Aufnahmen aus allen erdenklichen Blickwinkeln taugt. Zudem setzt Canon die Touchbedienung konsequent um, wobei man bis auf eine Ausnahme auch komplett darauf verzichten kann. Diese Ausnahme wird so mancher sicher als Manko sehen: Der Canon fehlt ein AF-Joystick. Stattdessen wird der Touchscreen zur Platzierung des beziehungsweise der Autofokusfelder benutzt, von denen die Kamera über 5.000 bis an den Randbereich verteilt besitzt. Darauf ist Canon auch besonders stolz und betont, dass unter anderem dafür das neue, große Bajonett nötig war, denn der Autofokus benötigt für eine zuverlässige Funktion am Randbereich möglichst senkrechte Lichtstrahlen.

Der Touchscreen erlaubt auch beim Blick durch den Sucher die Verschiebung der Autofokusfelder. Dabei kann man auswählen, welcher Bildschirmbereich dafür verwendet wird und ob die Positionierung relativ oder absolut erfolgen soll. Das funktioniert unserem subjektiven Eindruck nach besser, schneller und präziser als jeder AF-Joystick. Doch über den Touchscreen kann auf Wunsch auch das komplette Menü bedient werden. So entfällt das teils lästige Durchscrollen der Menüregisterkarten, denn mit einem Fingertipper springt man direkt in den gewünschten Menübereich. Auch beim Bestätigen oder Anwählen von Einstellungspunkten bewährt sich der direkte Tipper auf die gewünschte Option, ohne erst den Cursor hinbewegen zu müssen. Letztlich haben wir die Kamera hauptsächlich über den Touchscreen und die beiden Multifunktionsräder bedient und gelegentlich über die eine oder andere Taste, je nach dem, was gerade näher lag oder logischer erschien. Die EOS R lässt dem Fotografen alle Freiheiten, die er braucht.

Apropos Freiheiten: Das Bedieninterface der EOS R lässt sich fast komplett an die Bedürfnisse des Fotografen anpassen. Das ist von Vorteil, wenn man seine individuelle Kamera bevorzugt. Nur wenn jemand anderes die Kamera benutzt oder bei der Bedienung helfen möchte, führt das bisweilen zu Verwirrung. Die Medaille hat also immer zwei Seiten. Da man seine Kamera zumeist selbst benutzt, überwiegen unserer Meinung nach aber die Vorteile, sie so individualisieren zu können, wie man mag, zumal man das ja nicht muss, denn die Bedienfelder sind sinnvoll vorbelegt.

Als interessanten Versuch kann man das neue Touch-Bedienfeld auf der Kamerarückseite bezeichnen. Es ist modern, macht Spaß und lässt sich frei belegen. So richtig überzeugen kann es aber zumindest in der Praxis nicht auf ganzer Linie. Nutzt man es ohne die Sperrfunktion, bedient man hierüber die Kamera nur allzu leicht unbeabsichtigt. Mit Sperre jedoch nervt das nötige Entsperren wiederum. Zum Glück kommt man auch gut ohne aus. Einen gewissen Beigeschmack hat unserer Meinung nach auch der neue Einstellring an den Objektiven. Er sitzt ganz vorne und ist mit der Belichtungskorrektur vorbelegt. Der Ring rastet zwar ein, aber butterweich und verstellt sich damit an dieser exponierten Position gerne mal unbeabsichtigt. Vielleicht hätte Canon den Ring lieber ganz hinten platzieren sollen, zumal das schlüssiger in der Hinsicht wäre, dass es einen EF-Bajonettadapter mit eben diesem Einstellring gibt, der dann hinten sitzt. Den Ring an den nativen Objektiven an dieselbe Position zu verfrachten, wäre also durchaus schlüssig gewesen. Apropos Adapter: Sehr pfiffig ist der EF-Adapter mit integriertem Filtereinschub. So wird der ansonsten leere Platz sinnvoll genutzt.

Spannend ist der Dual-Pixel-CMOS-Autofokus von Canon, der mit der neuen Kamera und den Objektiven wirklich flott arbeitet. Er funktioniert mit den normalen Pixeln direkt auf dem Sensor, die für die Fokusmessung geteilt und getrennt auslesbar sind. Canon behauptet sogar, es sei der schnellste Autofokus, den aktuell eine spiegellose Systemkamera bietet. Dem können wir zum jetzigen Zeitpunkt, ohne Labormessung, zumindest nicht widersprechen. In der Praxis fühlte sich der Autofokus wirklich äußerst flott an. Den einen oder anderen Haken gibt es dennoch. Der Autofokus arbeitet laut Canon zwar noch bis zu phänomenalen -6 EV, was bisher kein anderes Autofokussystem schafft, auch keines einer Spiegelreflexkamera, aber wenn Licht und Kontraste schwinden, ist es mit der Rekordgeschwindigkeit vorbei. Gleiches gilt gefühlt, wenn man EOS-Objektive adaptiert. Hier ist das Objektiv der limitierende Faktor, was man merkt. Je nach Modell ist der Autofokus mal schneller, mal langsamer. Je größer die zu bewegenden Massen sind, desto träger ist die Reaktion. Vor allem im Vergleich zu den nativen RF-Objektiven merkt man den Unterschied. Im Vergleich zu einer Canon-DSLR, den wir nicht ziehen konnten, dürfte das Problem aber nicht existieren, denn der Fokusantrieb sitzt bei Canon sowieso immer im Objektiv, das damit den limitierenden Faktor darstellt.

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Benjamin Kirchheim

Benjamin Kirchheim, 46, schloss 2007 sein Informatikstudium an der Uni Hamburg mit dem Baccalaureus Scientiae ab. Seit 1998 war er journalistisch für verschiedene Atari-Computermagazine tätig und beschäftigt sich seit 2000 mit der Digitalfotografie. Ab 2004 schrieb er zunächst als freier Autor und Tester für digitalkamera.de, bevor er 2007 als fest angestellter Redakteur in die Lübecker Redaktion kam. Seine Schwerpunkte sind die Kameratests, News zu Kameras und Fototipps.