Spiegelloses Systemkamera-Flaggschiff

Testbericht: Olympus OM-D E-M1 Mark II

2016-11-08 Auf der Photokina 2016 präsentierte Olympus mit der OM-D E-M1 Mark II nicht ohne Stolz sein neues Micro-Four-Thirds-Flaggschiff, das beeindruckende Leistungen verspricht. So sitzen auf dem Sensor 121 Phasen-Autofokus-Sensoren, erstmals in der digitalen Kamerawelt handelt es sich um Kreuzsensoren. Die Serienbildrate soll 18 Bilder pro Sekunde mit AF-C oder 60 Bilder pro Sekunde mit AF-S betragen; bei voller Auflösung von 20 Megapixeln versteht sich. Dass das neue Flaggschiff als erste Olympus 4K-Videos beherrscht, gerät dabei fast zur Nebensache. Die Markteinführung findet zwar erst Anfang Dezember statt, aber wir konnten bereits ein erstes Serienmodell testen.  (Benjamin Kirchheim)

Ergonomie und Verarbeitung

Knapp drei Jahre ist es her, seit wir die E-M1 getestet haben. Die Zeit hat Olympus für viele sinnvolle Weiterentwicklungen genutzt, um die Mark II nicht nur auf den aktuellen technischen Stand zu bringen, sondern neue Maßstäbe zu setzen. Das Gehäuse selbst wurde sanft überarbeitet. Die Verwandtschaft zur E-M1 sieht man der Mark II sofort an, doch in den Details hat sich so einiges geändert. Die Grifftiefe der recht kompakten spiegellosen Systemkamera ist vor allem im unteren Bereich etwas gewachsen, was großen europäischen Männerhänden entgegenkommt. Der Griff ist großzügig mit Gummi beklebt, der Mittelfinger gräbt sich geradezu unter der angenehmen Kerbe ein, so dass die Kamera sogar mit schwerem Objektiv, wobei das selbst im MFT-System relativ leicht ist, nicht aus der Hand rutschen kann. Der kleine Finger findet dennoch nur leidlich Platz am Griff. Wer es wuchtiger mag, greift zum neuen Multifunktionsgriff, der nicht nur die Akkulaufzeit verdoppelt und der Kamera einen Netzteilanschluss sowie weitere Bedienelemente spendiert, sondern auch für mehr Griffhöhe und einen Hochformatauslöser sorgt. Man kann die E-M1 Mark II also in klein, unauffällig und handlich bekommen oder in groß, dominant, besonders griffig und schwer.

Apropos Gewicht: Dieses ist betriebsbereit um satte 70 Gramm gestiegen, das Gehäuse bringt es nun auf fast 580 Gramm. Für eine DSLM ist das gar nicht so leicht. Aber dafür ist das Gehäuse äußerst robust gebaut. Es besteht aus einer widerstandsfähigen Magnesiumlegierung und ist gegen Umwelteinflüsse abgedichtet. Mancher Fotograf wäscht die Kamera (natürlich nur mit entsprechend gedichtetem Objektiv) sogar unter fließendem Wasser sauber, falls es erforderlich ist. Untertauchen sollte man sie indes nicht. Auch Staub kann nicht ins Innere dringen und die Kamera ist samt Akku bis -10 °C frostsicher. Aber wo kommt das Mehrgewicht her? Einerseits verbaut Olympus (endlich) einen Doppel-SD-Kartenslot. Beide Slots sind zu SDHC und SDXC kompatibel, aber nur Slot 1 unterstützt den UHS-II-Standard und bietet somit deutlich höhere Schreibraten (wir maßen bis zu 170 Megabyte pro Sekunde). Wer das Potential der Kamera ausnutzen möchte, sollte sich definitiv eine große, schnelle SDXC UHS II Karte zulegen, es lohnt sich!

Ein anderer Teil des Mehrgewichts fällt auf den 40 Prozent größeren Akku. Dieser besitzt nun deutlich mehr Intelligenz, so gibt es etwa eine prozentgenaue Akkustandanzeige, wie man es aus dem Smartphonesektor oder auch von vielen Sony-Kameras längst gewohnt ist. Doch der Akku kann noch mehr: In ihm wird gespeichert, wie viele Bilder bereits damit aufgenommen wurden und in welchem Zustand er ist. So kann der Fotograf nach einem Blick ins Kameramenü erkennen, wann er für Ersatz sorgen sollte. Da die Informationen im Akku und nicht in der Kamera gespeichert werden, kann der Akku auch mit mehreren Kameras eingesetzt werden. Zum alten E-M1- und E-M5-Akku ist der neue jedoch nicht kompatibel. Der 73 Gramm schwere Akku bringt es immerhin auf 12,8 Wh, was für 440 Aufnahmen nach CIPA-Standard reicht. In der Praxis konnten wir diesen Wert problemlos deutlich toppen, insbesondere bei Serienbildern sind erheblich mehr Aufnahmen möglich. Wem das nicht reicht, der kann die Bilderanzahl mit Hilfe des Multifunktionsgriffs verdoppeln.

Auch bei den Schnittstellen lässt sich Olympus nicht lumpen. So wird USB 3 unterstützt, wobei der moderne Typ C Stecker zum Einsatz kommt, der sich in beiden Richtungen einstecken lässt. Der HDMI-Anschluss ist als Micro-Version (Typ D) ausgeführt. Des Weiteren gibt es einen Kopfhörerausgang sowie einen Stereo-Mikrofoneingang, jeweils als 3,5 mm Klinke. Auch ein Blitzsynchronanschluss ist vorhanden und ein TTL-Systemblitzschuh mit ISO-Kompatibilität für Mittenkontaktblitze sowieso. Der Multifunktionsanschluss ist hingegen entfallen, womit er nur noch in der Pen-Serie als Sucheranschluss zum Einsatz kommt. Anderes Zubehör wie der Mikrofonanschlussadapter sowie der Drahtlosadapter sind ohnehin nicht mehr nötig, beides ist wie auch der Sucher fest in der OM-D E-M1 Mark II eingebaut. Dass das Metallstativgewinde in der optischen Achse sitzt, ist in dieser Klasse schon eine Selbstverständlichkeit. Auch ein Fernauslöseanschluss (2,5 mm Klinke) fehlt nicht.

Die Bedienung gestaltet sich denkbar gut, auch wenn man sich aufgrund der vielen Tasten, die sich teilweise umfangreich programmieren lassen, gut einarbeiten muss. Der Auslöser besitzt eher schwammige als knackige Druckpunkte. Die Meinungen darüber, was besser sei, gehen weit auseinander. Bis zum ersten Punkt lässt sich der Auslöser recht leicht drücken, darüber nimmt die Federspannung deutlich zu, so dass man recht gut den Auslöser halbgedrückt halten kann, was für einige Funktionen unbedingt erforderlich ist, etwa Pro Capture (dazu später mehr). Insbesondere die Arbeit mit elektronischem Verschluss ist jedoch etwas gewöhnungsbedürftig, da es weder ein akustisches, noch ein haptisches Auslösefeedback gibt. Irgendwann ist der Auslöseknopf halt am Anschlag und lässt sich nicht weiter drücken. Sehr praktisch ist die Schnellumschaltung der Belegung der beiden Einstellräder. Ein klassisches Programmwählrad besitzt die E-M1 Mark II übrigens auch; es lässt sich sogar verriegeln. Ein separates Belichtungskorrekturrad wie an der Pen-F gibt es zwar nicht, die Belichtungskorrektur steht aber wie die ISO-Automatik auch im manuellen Modus zur Verfügung.

Der Sucher funktioniert wie beim Vorgängermodell einwandfrei und besitzt dieselben technischen Eckwerte wie etwa die im Vergleich zum Kleinbild 0,74-fache Vergrößerung oder die Auflösung von 2,36 Millionen Bildpunkten. Jedoch ist der Sucher nochmals schneller geworden und die Verzögerung wurde weiter reduziert. Beim Bildschirm hingegen gibt es eine entscheidende Änderung, die wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen. So ist der 7,5 Zentimeter große Monitor nun seitlich schwenk- und um 270 Grad drehbar. Für Hochformataufnahmen und Selfies ist das wunderbar, wer hingegen gerne den Monitor nur mal schnell nach oben oder unten klappen will, muss ihn nun nicht nur deutlich mehr verrenken und ein wenig Fingerakrobatik üben, sondern findet ihn nun neben der Kamera statt dahinter. Apropos Fingerakrobatik: Es handelt sich um einen Touchscreen, der auch bei der Verwendung des Suchers als AF-Touchpad aktiv bleibt. Wer mit dem linken Auge durch den Sucher blickt, wird sich schnell daran stören, verschiebt doch die Nase ungewollt den AF-Punkt. Zum Glück lässt sich die Touchpadfunktion wie auch die gesamte Touchfähigkeit abstellen; oder man klappt den Bildschirm einfach verkehrt herum an die Kamera, was ihn sogar vor Kratzern schützt. Strom spart das nebenbei auch, sofern der Näherungssensor am Sucher aktiviert bleibt, dann schaltet sich dieser nämlich nur bei Bedarf ein.

Leicht überarbeitet hat Olympus das Zahnradmenü. Dieses ist zwar noch umfangreicher geworden, besitzt nun aber eine übersichtlichere Zwischenmenüebene mit Buchstaben und Zahlen. In diesem Menü gibt es fast nichts, was man an der Kamera nicht einstellen kann. Bis hin zur Justage der Belichtung oder etwa der elektronischen Wasserwaage, die sich genauso wie zahlreiche Gittermuster und ein Livehistogramm im Sucher beziehungsweise auf dem Bildschirm einblenden lassen. Auch ob man eine Belichtungsvorschau wünscht oder nicht, lässt sich einstellen.

Ausstattung

Das Programmwählrad der E-M1 Mark II wird dominiert von den Kreativmodi P, A, S und M sowie den drei Benutzerspeichern. Dennoch bietet die Mark II eine intelligente Automatik, so dass die Kamera auf Wunsch vollkommen automatisch arbeitet, etwa für einen Schnappschuss zwischendurch oder wenn mal jemand damit fotografiert, der sich mit der Technik nicht so auskennt. Ihr volles Potential entfaltet die Kamera indes nur, wenn man sich mit ihr auseinandersetzt. Wer weniger technisch kreativ werden möchte, kann auf die vielen Art-Filter zurückgreifen, die sich auf Wunsch übrigens auch als Bildstil in einem Kreativprogramm aktivieren lassen. Eine manuelle Belichtung und ein Art-Filter schließen sich somit nicht gegenseitig aus. Auch HDR-Bilder erstellt die OM-D auf Wunsch automatisch, wer es lieber selbst macht, kann auf eine ausgereifte Belichtungsreihenfunktion zurückgreifen. Diese beschränkt sich übrigens nicht nur auf die Belichtung, sondern auch Fokus-Reihenaufnahmen und sogar Fokus-Stacking direkt in der Kamera sind möglich. In einem Fototipp (siehe weiterführende Links) gehen wir genauer darauf ein. Auch eine weitere, interessante Funktion möchten wir hier nicht breittreten, verweisen aber auf unseren Fototipp zum Thema Live-Bulb und Live-Composite, denn beides beherrscht die Mark II selbstverständlich.

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Völlig neu entwickelt hat Olympus den Bildsensor, und wie man hört, war die Medizin-Abteilung, die den Löwenanteil im Konzern ausmacht und wo Olympus Weltmarktführer ist, maßgeblich daran beteiligt, da man auch im Medizinbereich leistungsfähige Bildsensoren braucht, die aber wiederum nicht zu groß ausfallen dürfen. Der Micro-Four-Thirds-Formfaktor ist auch dort ein guter Kompromiss. Olympus baut die Sensoren zwar nicht selbst, sondern lässt sie fertigen, aber der Entwurf beziehungsweise die Spezifikationen stammen von Olympus. Dass es sich um den ersten Bildsensor mit integrierten Kreuz-Phasen-AF-Sensoren handelt, unterstreicht diese Tatsache. Wir konnten diesen Autofokus wie auch die leistungsfähige Serienbildfunktion anhand mehrerer Motive testen: unter anderem mit auf uns zu und an uns vorbeifliegende Greifvögel oder etwa einer Rinderherde sowie galoppierenden Pferden. Tatsächlich erwiesen sich eher die Fähigkeiten des Fotografen, das Motiv im Bildausschnitt zu behalten als die größte Gefahr für unbrauchbare Fotos. Der Autofokus hingegen saß, wenn ein Motiv im Bild war und er Gelegenheit hatte, es zu erfassen. Der Autofokus ist wirklich fix und nochmal ein gutes Stück schneller als im Vorgängermodell, das auch schon über einen Phasen-Autofokus verfügte. Fotografen, die alte Four-Thirds-Objektive adaptieren, profitieren ebenfalls deutlich von dem nochmals schnelleren Autofokus. Unsere Labormessung bestätigt dies; wir konnten bei der Olympus tatsächlich einen rasanten Autofokus messen: Inklusive 0,02 Sekunden Auslöseverzögerung war das Bild nur 0,08 Sekunden nach dem Drücken des Auslösers tatsächlich im Kasten. Übrigens gibt es im Menü neue Optionen zur Autofokus-Steuerung, die etwa die Reaktionsgeschwindigkeit einstellen, denn nicht immer soll der AF auf ein neu ins Bild kommendes Motivdetail scharfstellen.

Doch man kann sogar schon Bilder aufnehmen, bevor man den Auslöser durchdrückt. Olympus nennt das Pro Capture. Sobald man den Auslöser halb drückt, wird der Puffer ständig mit neuen Bildern gefüllt, die letzten 14 verbleiben im Puffer (die Funktion deaktiviert sich nach 60 Sekunden automatisch, man sollte also nicht zu lange mit dem Auslösen warten). Drückt man nun den Auslöser, so werden diese Bilder inklusive der folgenden gespeichert, solange man den Auslöser festhält und die Serienbildfunktion noch mitkommt (irgendwann ist der Puffer voll, weil die Speicherkarte nicht ganz hinterherkommt). Mit dieser Funktion gelingt es problemlos, den richtigen Moment einzufangen. Die Serienbildrate erreicht nämlich bis zu 60 Bilder pro Sekunde bei höchster Auflösung! Allerdings gibt es zwei Einschränkungen: Der Autofokus wird bei dieser hohen Serienbildrate nicht mehr nachgeführt und der Verschluss arbeitet elektronisch, was bei sehr schnell bewegten Motiven zu Bildverzerrungen führen kann (die Sensorauslesung dauert 1/60 Sekunde). Schaltet man die Serienbildgeschwindigkeit auf 18 Bilder pro Sekunde herunter, so kann die E-M1 Mark II den Autofokus nachführen, was wie bereits erwähnt hervorragend funktioniert. Mit mechanischem Verschluss sind hingegen maximal 15 (mit AF-S) beziehungsweise zehn Serienbilder pro Sekunde (mit AF-C) möglich. Des Weiteren gilt: Je langsamer die Serienbildrate, desto längere Serien sind möglich. Bei 60 Bildern pro Sekunde reicht der Puffer nur für 48 Fotos im Raw-Format, bei zehn Serienbildern pro Sekunde sind dreimal so viele Aufnahmen am Stück möglich. Auf die Speicherkarte schreibt die Olympus übrigens problemlos 8,5 Raw-Bilder (knapp über 20 MByte pro Stück) pro Sekunde, das entspricht etwas über 170 Megabyte pro Sekunde – ein hervorragender Wert! In JPEG reicht der Puffer noch länger, wobei dies vom Motiv und der Kompression abhängt.

Fortsetzung auf Seite 2

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Autor

Benjamin Kirchheim

Benjamin Kirchheim, 46, schloss 2007 sein Informatikstudium an der Uni Hamburg mit dem Baccalaureus Scientiae ab. Seit 1998 war er journalistisch für verschiedene Atari-Computermagazine tätig und beschäftigt sich seit 2000 mit der Digitalfotografie. Ab 2004 schrieb er zunächst als freier Autor und Tester für digitalkamera.de, bevor er 2007 als fest angestellter Redakteur in die Lübecker Redaktion kam. Seine Schwerpunkte sind die Kameratests, News zu Kameras und Fototipps.