Chinesischer Linseneintopf

Besuch im Pearl River Delta, dem "Optical Silicon Valley" Chinas

2006-05-11 Im Februar dieses Jahres wurde an der Börse Hong Kong das Unternehmen Yorkey Optical International aus der Stadt Dongguan vorgestellt. An dem Hersteller digitaler Kamerakomponenten sind bereits Ability Enterprise und Asia Optical, die zu den "Big Four" der taiwanesischen Digitalkamerahersteller gehören, mit 45 bzw. 5 Prozent beteiligt. Die Vorbestellungen an Aktienpaketen übertrafen das Angebot um das 217-fache, am Ende des ersten Börsentages war der Aktienkurs bereits um 63 Prozent gestiegen. Beachtlich viel Aufsehen für eine scheinbar kleine Fabrik, die Baugruppen und Bauteile für Digitalkameras herstellt. Doch der Börsengang zeigt die Energie und Dynamik im Pearl River Delta, das sich zum "Optical Silicon Valley" in der südchinesischen Provinz Guangdong entwickelt hat. Wo vor 20 Jahren noch Wasserbüffel die Reisfelder pflügten, werden jetzt optische Präzisionsbauteile in gigantischen Mengen gefertigt. Die 1,5-Millionen-Stadt Dongguan gilt heute als die produktivste Stadt Chinas. Unser Fernost-Korrespondent Wilfried Bittner hat kürzlich eines dieser Werke besucht. Er fand die Wasserbüffel immer noch in den Feldern stehen, aber hinter den Fabrikmauern werden jährlich knapp fünf Millionen Pentax-Objektive gefertigt, die dann in Casio-Kameras eingebaut werden.  (Wilfried Bittner)

Zur Zeit des 35-mm-Films konnten die Hersteller von Kompaktkameras nur bei Festbrennweiten auf Objektive aus den Katalogen der Objektivhersteller zurückgreifen, und den Verschluss sowie den Autofokusmechanismus mussten sie sich woanders besorgen oder selber fertigen. Bei Zoomobjektiven gab es praktisch keine universellen Module aus dem Katalog, denn die Anforderungen und Abmessungen der verschiedenen Kamerahersteller waren kaum unter einen Hut zu bringen. Jedes Kameramodell hatte somit seine völlig eigene Zoombaugruppe, oder zumindest ein paar Details waren nicht kompatibel mit dem Schwestermodell. Für die Hersteller war das relativ aufwendig, aber zumindest war das Bildformat einheitlich, und die Modelle liefen etliche Jahre.

Mit dem Umstieg auf Digitalkameras hat sich nun vieles geändert. Die Modelle wechseln in immer schnellerer Folge, und die Entwicklungszyklen werden immer kürzer. Da greifen die Hersteller gerne auf einigermaßen standardisierte Zoomobjektive zurück. Der Kamerahersteller bekommt also die gefasste Optik, Verschluss- und Blendenmechanismus, den Autofokusmotor, und je nach Modell auch noch den optischen Sucher in einer funktionsfähigen Einheit. Auf Wunsch kann auch noch gleich der Tiefpassfilter und der Bildsensor fertig montiert geliefert werden, damit spart sich der Kamerahersteller den Montageprozess im teuren Reinraum.

Wer baut derartige Zoommodule? Es sind Hersteller wie Asia Optical, Copal, Canon, Olympus, Pentax, Ricoh und Sanyo, um nur einige zu nennen. Die Fertigung dieser Komponenten verschiebt sich in zunehmendem Maße von Japan nach China. Die wesentlichen Kenngrößen sind dabei der Zoomfaktor, die Sensorgröße, die Auflösungsgrenze und die Bauart. Der gängigste Zoomfaktor ist 3-fach, darunter besteht wenig Kaufinteresse, und nach oben hin setzt Samsung mit 15-fach derzeit den Rekord.

CCD und Objektiv passen gut zusammen [Grafik:Wilfried Bittner]   Sensor ist zu groß für das Objektiv [Grafik:Wilfried Bittner]
Bei der Sensorgröße geht es darum, den optisch brauchbaren Bildkreisdurchmesser des Objektivs auf die nutzbare Sensordiagonale optimal anzupassen. Setzt man z. B. ein Zoom, das für einen 8-mm-Bildkreis gerechnet wurde, auf einen Sensor mit 9 mm Bilddiagonale, dann gibt es unscharfe und/oder dunkle Bildecken. Nimmt man dagegen einen kleineren Sensor, dann ergibt sich ein entsprechend kleinerer Bildwinkel: Statt einem 35 - 105 mm umfassenden Zoombereich bekommt man vielleicht noch 42 - 126 mm (jeweils umgerechnet auf Kleinbild).

Für Kompaktkameras werden Sensoren der Größen 1/3.2" bis 2/3" verwendet, wobei 1/2.5" und 1/1.8" den Löwenanteil ausmachen. Die Objektivhersteller bauen ihre Module also für die gängigen optischen Sensorgrößen. Die Einbaumaße eines 1/1.8" CCD-Sensors von Sony, Sharp oder Panasonic sind nicht immer ganz gleich (sie besitzen verschiedene Package-Abmessungen), aber mit diesen kleinen Unterschieden kommt man noch leicht zurecht. Schwierig wird es allerdings, wenn man dieses Objektiv mit einem 1/1.8“ CMOS-Sensor verbauen will. Bei den CMOS-Sensoren liegt nämlich die aktive Sensorfläche nicht in der Mitte des Gehäuses, sondern deutlich daneben (weil sich die Treiberelektronik auch mit auf dem Chip befindet). Und nur selten gibt es für die Konstrukteure genug Platz, um den Sensor um diesen Mittenversatz zu verschieben.

CCD und Objektiv passen gut zusammen [Grafik:Wilfried Bittner]Es gibt auf dem Markt übrigens zwei Kameramodelle, bei denen der Bildkreis kleiner als die Sensordiagonale ist, die Sony DSC-F505V und die Panasonic DMC-TZ1. Um aber unakzeptable Ecken zu vermeiden, haben die beiden Hersteller den äußeren Rand des Sensors ungenutzt belassen und damit eine beachtliche Zahl von Pixeln verschenkt (siehe Tabelle).

Sensor-Pixel

nominal genutzt  ungenutzt
Sony DSC-F505V 3,3 MPixel 2,6 MPixel 0,9 MPixel
Panasonic DMC-TZ1 6,3 MPixel 5 MPixel 1,3 MPixel


Bei der Auflösungsgrenze geht es darum, wie viele Megapixel das Zoomobjektiv noch "schafft". Je mehr Pixel in die Sensorfläche gequetscht werden, desto kleiner werden die Pixel, und desto mehr Linienpaare pro Millimeter (Lp/mm) muss das Objektiv mit noch ausreichendem Kontrast auflösen. Beim neuesten 10-Megapixel-Sensor von Sharp haben die Pixel nur noch eine Seitenlänge von 2,05 µm. Da muss das Objektiv fast unvorstellbare 244 Lp/mm auflösen.

Für den Fotoenthusiasten kommt nebenbei noch dazu, wie weitwinklig das Zoom ist, d. h. ob es bei respektablen 24 mm, bei 28 mm, 35 mm oder gar erst bei langweiligen 40 mm anfängt (umgerechnet auf Kleinbild). Weitwinklige Zooms sind in der Fotopraxis sehr nützlich, aber optisch leider schwer zu rechnen und zu korrigieren.

Zu den gebräuchlichsten generellen Bauarten gehören fünf unterschiedliche Gruppen:

  • Versenkbare teleskopische Zooms (die häufigste Bauart, z.B. Canon IXUS Serie): Beim Einschalten der Kamera fährt der Tubus heraus, und nach dem Ausschalten verschwindet er wieder Platz sparend und geschützt im Gehäuse. Dabei kann der Tubus aus einer oder mehreren Stufen bestehen.

 

  • Sony DSC-F828 [Foto:Sony]Feststehende teleskopische Zooms: Bei den so genannten Superzooms mit großem Brennweitenbereich lässt sich die Baulänge zum Transport nur schwierig verringern. Das Objektiv ragt prominent aus dem Gehäuse, selbst bei der kürzesten Einstellung. Einige dieser Modelle haben auch einen mechanisch gekoppelten, manuellen Zoomring (Sony DSC-F828, Sony DSC-R1).

 

  • Zooms mit fester Baulänge: Die Baulänge ändert sich beim Zoomen nicht, und diese Bauart ist meistens sperrig. Durch eine Schwenkmechanik lässt sich eine weniger sperrige, flache Form für die Westentasche erzielen (Nikon Coolpix S4, Contax U4R). Die Linsengruppen werden linear geführt.

 

  • Der seitlich gefaltete Zoommodul der Sony  DSC-F88, mit optischem Sucher und Blitz. [Foto:Wilfried Bittner]Umgelenkte, interne Zooms: Der Strahlengang wird kurz hinter der ersten Linsengruppe mit einem Spiegel oder einem Prisma entweder nach unten (Minolta X-Serie, Sony T-Serie) oder seitwärts umgelenkt (Pentax, Sanyo, Olympus). Auch hier werden die Linsengruppen linear geführt. Der Benutzer sieht beim Zoomen keine äußerliche Veränderung, was "Marketingleute" ein bisschen bedauern.

 

  • Umgelenkter teleskopischer Hybrid: Mit der Panasonic Lumix DMC-TZ1 gibt es nun eine weitere Variante. Der vordere Teil des Objektivs wird beim Zoomen teleskopisch ausgefahren, und der hintere lange Teil wird mit einem Prisma um 90° umgelenkt, damit die ganze Baugruppe trotz des 10-fachen Zoombereiches noch in ein Gehäuse mit kompakter Bauform passt.


 

Weitere Baumerkmale von Zoombaugruppen sind automatische Linsenabdeckung (sehr weit verbreitet), Wetterfestigkeit (Olympus), Bildstabilisator (wird immer populärer), extreme Flachbauweise durch seitliches Wegschwenken einer Linsengruppe beim Parken (Pentax), gute Makronahgrenze, usw. Hier ist ein Beispiel, bei dem man kein Sherlock Holmes sein muss, um zu erkennen, dass in den 14 aufgeführten, verschiedenen Kameramodellen praktisch immer das gleiche Objektiv drinsteckt, denn die Eckdaten und das Aussehen sind markant. Es handelt sich um das 7 - 21 mm f/2,0 - 2,5 Zoom, das zuerst im Jahre 2000 in 3-Megapixel-Kameras auftauchte und dann innerhalb der nächsten zwei Jahre bei 5 Megapixeln auf seine Leistungsgrenze gestoßen war (nur Casio hatte sich damit derart weit vorgewagt, die anderen gaben bei 4 Megapixeln auf).

Kameramodell

Sensor

 Objektivname

Canon G1 3 MPixel Canon Zoom Lens
G2 4 MPixel
Casio QV 3000 EX 3 MPixel
QV 3500 EX 3 MPixel
QV 4000 4 MPixel
QV 5700 5 MPixel
Sony DSC-S70 3 MPixel Carl Zeiss Vario Sonnar
DSC-S75 3 MPixel
DSC-S85 4 MPixel
Panasonic DMC-LC5 4 MPixel Leica DC Vario-Summicron
DMC-LC40 4 MPixel
Leica Digilux 1 4 MPixel
Epson PhotoPC 3000 3 MPixel Epson Digital Camera Lens
PhotoPC 3100 3 MPixel

 

Casio weist bei den obigen Modellen stolz auf die Canonobjektive hin, was vermuten läßt, daß es grundsätzlich wohl ein Canonobjektiv ist. Bei den Exilim-Modellen weist Casio übrigens auf die Objektive von Pentax hin. Linsenbaugruppen sind heutzutage eine große Sparte in der Kameraindustrie und ein Rettungsanker für die alten Firmen, die mit den großen Elektronikfirmen wie Sony, Canon und Panasonic beim Kamerabau nicht mehr mithalten können, sich aber statt dessen auf das Spezialgebiet der Objektivbaugruppen zurückziehen, wo sie ihre opto-mechanischen Technologien noch bestens anwenden können. Und gleichgültig, in welchem Land auch der Firmensitz ist, immer mehr schöpfen aus dem "chinesischen Linseneintopf".



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