Rubrik: Grundlagenwissen

Vor- und Nachteile von Sensor- und Objektiv-Bildstabilisatoren

2016-03-07 Optische Bildstabilisatoren sind aus heutigen Digitalkameras gar nicht mehr wegzudenken. Dabei konkurrieren mit dem Objektiv-Bildstabilisator und dem Sensor-Shift-Bildstabilisator zwei verschiedene Systeme miteinander, die beide mechanisch arbeiten und sich damit auf die Optik auswirken. Die Systeme haben spezifische Vor- und Nachteile, die man kennen sollte und die man sich zu Nutze machen kann. Dabei müssen die Systeme nicht einmal in Konkurrenz stehen, sondern können sich ideal ergänzen, wie die neuesten innovativen Kameramodelle zeigen.  (Benjamin Kirchheim)

Verwackelungen sind eine der häufigsten Ursachen für Bildunschärfen, deswegen sind optische Bildstabilisatoren von immensem Vorteil und helfen praktisch bei jeder Aufnahme, und sei es nur, weil sie das Sucherbild stabilisieren, um das Motiv besser anvisieren zu können. In den letzten zehn Jahren gab es enorme Entwicklungsfortschritte. Gab es anfangs nur optische Bildstabilisatoren in Objektiven, bei denen eine Linsengruppe zur Korrektur von Verwackelungen verschoben wurde, gewinnen Sensor-Shift-Bildstabilisatoren immer mehr an Bedeutung. Ließen sich anfangs nur sehr kleine Bildsensoren stabilisieren, sorgten Fortschritte in der Technik dafür, dass nun selbst Kleinbildsensoren stabilisiert werden können. Wurden die Sensoren anfangs noch von kleinen Elektromotoren bewegt, kommen heute zumeist modernere Antriebsformen, meistens auf magnetischer Basis, zum Einsatz. Dabei schwebt der Sensor frei beweglich in einem Rahmen und kann nicht nur nach oben und unten sowie links und rechts verschoben werden, sondern sogar ein wenig gedreht werden. Damit kann ein Sensor-Shift-Bildstabilisator Verwackelungen ausgleichen, die ein optisches System nicht ausgleichen kann, da eine Drehung der Linsen im Objektiv keine Drehung des Bildes nach sich zieht.

Bei der Verwackelung werden fünf verschiedene Achsen unterschieden, wobei sich manche Hersteller eine fünfte Achse definieren, die gar keine ist. Achse 1 und 2 sind die Kippbewegungen der Kamera nach links und rechts sowie oben und unten. Sie haben den größten Anteil an den Verwackelungen. Aber auch das Verschieben der Kamera nach rechts, links, oben und unten spielt eine Rolle, die mit einer Abnahme der Aufnahmedistanz zunimmt, also vor allem im Nah- und Makrobereich eine Rolle spielt. Auch diese Achsen lassen sich problemlos im Objektiv und mittels Sensorverschiebung ausgleichen. Die (echte) fünfte Achse betrifft die Rotation, die wie oben beschrieben nicht vom Objektiv ausgeglichen werden kann. Manches Kameramodell gleicht auch nur drei Achsen aus, nämlich die beiden Kippachsen und die Rotation.

Neben den verschiedenen Achsen gibt es aber noch ein weiteres Kriterium, das die Stabilisatoren unterscheidet. Ein Sensor-Shift-Bildstabilisator kann inzwischen auch bei Videoaufnahmen und dem Livebild aktiv sein, womit bei Kameras mit elektronischem Sucher beziehungsweise Livebild das Sucherbild stabilisiert werden kann. Bei klassischen DSLRs hingegen können nur Stabilisatoren im Objektiv das Sucherbild stabilisieren. Ein stabilisiertes Sucherbild macht nicht nur dem Fotografen die Anvisierung des Motivs einfacher, auch der Autofokus der Kamera hat ein ruhigeres Ziel. Ein Sensor-Shift-Stabilisator arbeitet zudem mit jedem Objektiv zusammen, man braucht also eigentlich gar keine stabilisierten Objektive mehr. Doch das ist nicht ganz richtig. Ein Stabilisator im Objektiv ist immer spezifisch auf die Brennweite des Objektivs ausgelegt und gleicht unabhängig der Brennweite Verwackelungen proportional gleich stark aus. Ein Sensor-Shift-Bildstabilisator hingegen hat unabhängig der Brennweite ein maximales Maß an Auslenkung, das ausgeglichen werden kann. Wie stark die Auslenkung ausfallen muss, hängt aber von der Brennweite ab. Je kürzer die Brennweite, desto geringere Auslenkungen des Sensors sind erforderlich, um eine Verwackelung auszugleichen. Im Weitwinkel können Sensor-Shift-Stabilisatoren damit sogar besonders starke Verwackelungen noch ausgleichen. Bei Teleobjektiven größerer Brennweiten hingegen stoßen die Sensor-Shift-Bildstabilisatoren an ihre physikalischen Grenzen. Die Auslenkung des Sensors reicht womöglich nicht mehr, um die normalen Verwackelungen auszugleichen.

Diese Tatsache wird deutlich, wenn man sieht, dass Olympus beim neuesten Teleobjektiv (300 mm) einen optischen Bildstabilisator verbaut. Doch Olympus schaltet den Stabilisator des Kameragehäuses nicht einfach ab, sondern lässt diesen koordiniert mit dem Objektiv als Hybrid-Bildstabilisator weiter arbeiten. Dies wiederum erhöht die Effektivität der Bildstabilisierung nochmals. Auch Panasonic arbeitet mit einem Dual-Bildstabilisator, bei dem der Objektiv-Stabilisator mit dem der Kamera kombiniert wird. Noch bietet Panasonic mit der GX8 nur ein einziges Kameragehäuse an, das diesen Dual-IS unterstützt. Doch es werden in Zukunft mehr werden und es wird nicht auf die GX-Serie beschränkt bleiben, so das erklärte Zukunftsziel von Panasonic. Selbst Sony arbeitet in den neuesten Alpha-7-Kameras mit einem Hybrid-Stabilisator, wobei sich allerdings die Stabilisatoren nicht aufdoppeln, sondern lediglich der Ausgleich der verschiedenen Achsen auf die beiden Stabilisatoren verteilt wird. Aber selbst das erhöht die Effektivität.

An dieser Stelle noch etwas Theorie als Grundlage, denn um wie viel ein Bildsensor bei welcher Brennweite zum Ausgleich von Verwackelungen bewegt werden muss, lässt sich selbstverständlich ausrechnen. Da die Beispielrechnungen von Panasonic stammen, beziehen diese sich auf einen 17,3 mal 13 Millimeter großen Micro-Four-Thirds-Sensor und die Bildstabilisatoren von Panasonic. Die Berechnungen beziehungsweise Formeln lassen sich prinzipiell aber auch auf andere Sensorgrößen übertragen. Gegeben sind drei Brennweiten, 28, 50 und 600 Millimeter (jeweils im Kleinbildäquivalent). Die durch einen optischen Bildstabilisator ausgleichbare Verwackelung beträgt 0,5 Grad. Um wie viel man den Sensor bewegen muss, um denselben Winkel auszugleichen, lässt sich relativ leicht ausrechnen. Zunächst einmal die Formel zur Berechnung des vertikalen Bildwinkels bei einem 13 Millimeter hohen Sensor: 2x tan-1 (Sensorhöhe / Brennweite)

Damit ergeben sich folgende vertikale Bildwinkel: 49,8 Grad bei 28 Millimetern, 29,1 Grad bei 50 Millimetern und 2,48 Grad bei 600 Millimetern. Die Stärke der vertikalen Verwackelung bei 0,5 Grad lässt sich ebenfalls einfach ausrechnen: tan (0,5° / 2) / tan (Bildwinkel / 2) Damit ergeben sich folgende Werte: 0,94 Prozent bei 28 Millimetern, 1,7 Prozent bei 50 Millimetern und 20,2 Prozent bei 600 Millimetern. Der maximale vertikale Sensor-Shift der Panasonic GX8 beträgt allerdings weniger als einen Millimeter, das heißt weniger als 7,7 Prozent beim 13 Millimeter hohen Sensor. Um bei 600 Millimetern Brennweite eine Verwackelung von 0,5 Grad auszugleichen, müsste der Sensor aber um 2,6 Millimeter verschoben werden. Die folgende Grafik zeigt schematisch, welchen Winkel ein Bildstabilisator in Abhängigkeit der Brennweite stabilisieren kann. Gemäß der obigen Beispielrechnung von Panasonic müsste irgendwo oberhalb von 200 Millimetern kleinbildäquivalenter Brennweite der optische Bildstabilisator größere Winkel ausgleichen können als der Sensor-Shift-Bildstabilisator. Die tatsächliche Grenze hängt aber im Wesentlichen davon ab, wie weit der Bildstabilisator den Sensor verschieben kann, das heißt bei Olympus und Sony kann die Grenze bei einer anderen Brennweite liegen.

Wer sich eingehender mit der Geschichte und den Grundlagen der Bildstabilisatoren und mit praktischen Anwendungen auseinandersetzen möchte, dem seien unsere kostenlosen Grundlagenartikel sowie die Fototipps ans Herz gelegt, die in den weiterführenden Links zu finden sind. Auch ein Buch des Autors Sam Jost setzt sich speziell mit dem Thema Schärfe auseinander, wobei hier Bildstabilisatoren weniger eine Hauptrolle spielen. Das Buch bieten wir als E-Book für 7,99 € sowie als gedrucktes Buch für 14,90 € an (ein Kauf bei uns unterstützt unsere redaktionelle Arbeit). Es kann aber auch über den Fachhandel bezogen werden.

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Benjamin Kirchheim

Benjamin Kirchheim, 46, schloss 2007 sein Informatikstudium an der Uni Hamburg mit dem Baccalaureus Scientiae ab. Seit 1998 war er journalistisch für verschiedene Atari-Computermagazine tätig und beschäftigt sich seit 2000 mit der Digitalfotografie. Ab 2004 schrieb er zunächst als freier Autor und Tester für digitalkamera.de, bevor er 2007 als fest angestellter Redakteur in die Lübecker Redaktion kam. Seine Schwerpunkte sind die Kameratests, News zu Kameras und Fototipps.