Rubrik: Bildgestaltung

Raum sichtbar machen

2000-11-06 Landschaft verlangt nach Raum, Weite, Tiefe. Fotos sind zweidimensional. Ist räumliche Darstellung gewünscht, muss sie durch geeignete Maßnahmen simuliert werden. Die Mittel hierzu sind vor allen Dingen in den Bildraum führende Linien und das Größenverhältnis der Bildelemente zueinander. Auch die Farbverteilung im Motiv kann eine Rolle spielen. Gekonnte Anwendung macht aus der Pfütze einen See, aus dem Zimmer einen Saal.  (Jürgen Rautenberg)

Nicht nur das Landschaftsfoto lebt vom Raum. Auch bei Architektur, Porträt, Stillleben oder Sachfoto sollte die dritte Dimension nachvollziehbar sein. Da Raum im flächigen Foto real nicht sein kann, muss der Fotograf ihn grafisch "simulieren". Dafür gibt es Rezepte: Ob Straße, Fluss, Schienenstrang, Pappelallee – alles, was sich vom unteren Bildrand her durch das Bild bewegt, verstärkt beim Betrachter den Eindruck von Tiefe. Je breiter eine Straße vom unteren Bildrand ausgeht und je stärker sie sich zum oberen verjüngt, um so deutlicher die Illusion von Weite, von der Dreidimensionalität des Raumes. Damit sind die beiden wichtigsten Faktoren vorgegeben, mit denen wir Raum fiktiv erzeugen können: In das Bild führende Punkte oder Linien und das Prinzip vorne groß/hinten klein.

In unserem persönlichen Hauptspeicher hat sich die Erfahrung eingeprägt: "Eine Straße ist in ihrer Breite immer gleich. Wenn es aussieht als ob sie schmaler wird, dann muss das daran liegen, dass sie sich von mir entfernt". Wir schließen also aus dem Verhältnis vorne groß/hinten kleiner, dass groß identisch mit nah und kleiner identisch mit fern ist. Daraus lässt sich ableiten, dass nicht nur Verbindungslinien wie Straßen oder Gleise, sondern auch Einzelelemente die gleiche Wirkung erzielen. Solange ein Baum, ein Stein, eine Blüte, ein Mensch möglichst nahe am Vordergrund platziert und entsprechend groß abgebildet ist, simuliert das Bild dem Betrachter "Raum".

Zur Erläuterung eines weiteren Hilfsmittels ein Ausflug zu den Objektivbrennweiten: Teleobjektive haben einen engen Bildwinkel und entsprechen in der Wirkung Ferngläsern. Sie ziehen den Raum zusammen, stauchen ihn, arbeiten flächig. Weitwinkelobjektive weiten den Raum, vergrößern Entfernungen. Zoomobjektive vereinen kontinuierlich eine ganze Reihe von Brennweiten in einem einzigen Objektiv. Daraus wird klar: Tele-Brennweiten können wir zur Vertiefung von Raum kaum gebrauchen. Dafür schaffen sie überzeugende plakative Darstellungen. Weitwinkel dagegen sind ideal für zusätzliche Tiefe im Bild. Verbinden Sie in das Bild führende Punkte oder Linien mit einem auf kurzen Abstand eingesetzten Weitwinkel, dann steigern Sie die Wirkung. Wichtig ist allerdings: Die Vordergrundelemente müssen wirklich nahe vor die Kamera gerückt sein. Missachten Sie diese Regel, dann überzeugt die zu geringe Größendifferenz vorn/hinten nicht mehr.

Auch mit der Verteilung von Farben im Motiv lässt sich Raum beeinflussen. Blau, Blaugrün sind kühle Farben, die von selbst in den Hintergrund treten. Rot dagegen wirkt warm und drängt in den Vordergrund. Lässt sich im Motiv Blau in der Hintergrund, Rot, Orange und/oder Gelb in den Vordergrund legen, unterstützt diese Anordnung den Eindruck von Raum. Nun ist solche Anordnung nicht immer möglich; in der Natur sind die Dinge vorgegeben. Wenn Sie jedoch Ihre Motive – beispielsweise Stillleben, Sachfotos oder Werbegraphiken – selber "bauen", dann können Sie nach Belieben mit den Dingen spielen.

Bild 1  Der Weg führt in das Bild hinein und vermittelt den Eindruck von Tiefe, Raum.

Bild 2  Der Einsatz eines Weitwinkelobjektives bewirkte, dass die Grabplatten am Kirchenboden schon sehr nahe des Standpunktes ins Bild kamen. Sie erweitern den Raum: Vergleichen Sie die Größe der Grabplatten im Vordergrund und des Altars im Hintergrund miteinander.

Bild 3  Die Plastik im Vordergrund ist nahezu formatfüllend, alle anderen Elemente wirken erheblich kleiner. Das Ergebnis auch hier: Raum.

Bild 4  Auch Farbe schafft Raum! Das rote Gewand bewirkt, dass der maltesische Würdenträger während der Prozession den Vordergrund – und damit das Geschehen beherrscht.

Bild 5  Die Gräser im Vordergrund scheinen größer als der Kahn; die Darstellung wirkt stark plastisch.

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