Kompakte Super-Tele-Festbrennweite

Testbericht: Canon RF 600 mm F11 IS STM

2021-04-30 Das Canon RF 600 mm F11 IS STM ist ein weiteres, sehr ungewöhnliches Objektiv im jungen Vollformat-R-System: Ausgestattet mit fester Brennweite und fester Blende von nur F11 könnte man es oberflächlich für ein nutzlos lichtschwaches Teleobjektiv halten. Doch ein Preis von deutlich unter 1.000 Euro und ein Gewicht von unter einem Kilogramm lassen es zumindest für Tageslichtaufnahmen durchaus attraktiv erscheinen. Wir haben an der 45 Megapixel auflösenden Canon EOS R5 getestet, welche Bildqualität in dem Objektiv steckt.  (Benjamin Kirchheim)

Mit 932 Gramm ist das Canon RF 600 mm F11 IS STM angesichts der Brennweite von 600 Millimetern ein echtes Leichtgewicht und der Preis von gut 800 Euro klingt durchaus leistbar. Dafür ist aber der Lieferumfang sparsam: Weder die Gegenlichtblende noch eine Tasche befinden sich im Karton. Auch eine Stativschelle gibt es nicht, aber immerhin hat Canon eine 1/4-Zoll-Stativaufnahme auf der Unterseite des Objektivs angebracht, so dass es zumindest im Querformat einfach auf ein Stativ gesetzt werden kann. Allerdings sitzt es so weit vorne, dass die mit der EOS R5 1,66 Kilogramm durchaus leichte Kamera-Objektiv-Kombination deutlich hecklastig wird – immerhin aber weniger stark als die Frontlastigkeit bei Anbringung der Kamera auf einem Stativ.

Das Gehäuse des Canon RF 600 mm F11 IS STM besteht aus Kunststoff, das schließt das mit 82 Millimetern sehr große Filtergewinde mit ein, man sollte Metallfilter also sorgfältig anschrauben, um Beschädigungen zu vermeiden. Einzig das Bajonett besteht aus Metall. Eine Abdichtung gegen Staub und Spritzwasser fehlt.

Ungewöhnlich ist das Design des Objektivs in zweierlei Hinsicht: Es sieht so aus, als hätte es im vorderen Bereich eine knapp fünf Zentimeter breite Gummierung in genarbter Lederoptik, jedoch handelt es sich lediglich um Plastik mit entsprechender Struktur. Das sieht schick aus, fühlt sich aber irgendwie billig an. Überhaupt macht das Gehäuse angesichts seiner Abmessungen von 20 Zentimetern Länge und 9,5 Zentimetern Durchmesser nicht den hochwertigsten Eindruck. Neben den zehn Linsen befindet sich hier viel umbaute Luft.

Funktionen

Luft ist das richtige Stichwort: Das Objektiv besitzt einen Auszugsmechanismus, mit dem es in Aufnahmeposition gebracht wird: Dreht man den hinteren, drei Zentimeter breiten Kunststoffring etwas nach links, lässt sich das Objektiv um gut sieben Zentimeter ausziehen. Dabei besteht der hintere Tubus einfach nur Plastik mit innerer Riffelung zur Vermeidung von Reflexionen. Hier befindet sich nur Luft, keine Linsen. Die gesamte optische Konstruktion befindet sich im vorderen Teil des Objektivs.

Von innen ist der Tubus im hintersten Teil vor dem Bajonett mit Samt ausgeschlagen: Hier rutscht der Tubus eines Telekonverters hinein, denn das Canon RF 600 mm F11 IS STM ist zu beiden Telekonvertern von Canon kompatibel. So lässt sich die Brennweite wahlweise um den Faktor 1,4 verlängern oder verdoppeln, wobei jedoch eine maximale Blendenöffnung von F16 beziehungsweise F22 entsteht. Erstaunlicherweise funktioniert der Autofokus dann trotzdem.

Apropos Autofokus: Dieser arbeitet mit einem einfachen Schrittmotor (STM), was aber nicht heißt, dass er langsam oder gar laut wäre. Beides ist nicht der Fall und trotz der geringen Lichtstärke funktioniert der Autofokus erstaunlich gut. Sogar an einen AF-MF-Schalter und einen Fokusbegrenzer hat Canon gedacht. So arbeitet der Autofokus wahlweise ab 4,5 oder erst ab 12 Metern. Starke Vergrößerungen erzielt man damit nicht. Angesichts des vom Hersteller angegebenen Abbildungsmaßstabs von 1:7,1 haben wir uns ein Nachmessen erspart.

Zur manuellen Fokussierung bietet das Teleobjektiv einen mit 3,5 Zentimetern üppig breiten, aus geriffeltem Plastik bestehenden Fokusring, der rein elektronisch arbeitet. Schnelle Drehungen sorgen für große Fokussprünge, langsame für sehr feinfühlige. Damit lässt sich gut manuell fokussieren, zumal die Kamera eine Fokuslupe sowie Fokuspeaking als Einstellhilfen anbietet. Eine Entfernungsskala, wenn auch ohne exakte Einblendung des genauen Abstands, wird ebenfalls im Livebild angezeigt.

Einen leichten Akzent in Dunkelsilber setzt der ein Zentimeter breite Multifunktionsring. Er rastet beim Drehen hör- und spürbar. Seine Funktion kann über die Kamera konfiguriert werden, nur die Blende lässt sich damit nicht verstellen, denn das Objektiv besitzt keine. Wer möchte, kann die Click-Funktion des Rings vom Canon-Service deaktivieren lassen.

Dafür gibt es einen optischen Bildstabilisator, der über einen Schalter an- und abgeschaltet werden kann. Er soll fünf Blendenstufen längere Belichtungszeiten ermöglichen. Ein verbauter Sensor-Shift-Bildstabilisator bringt jedoch keine zusätzliche Stabilisierungsleistung. Das liegt laut Canon an der großen Brennweite des Objektivs, bei der der Kamerastabilisator kaum noch wirkt. Bei 600 Millimetern Brennweite sollten bei fünf Blendenstufen nach Faustformel 1/20 Sekunde lange Belichtungszeiten aus der freien Hand möglich sein. Bei unseren Testaufnahmen zeigten sich dabei minimale Verwackelungsunschärfen, die bei 1/50 und kürzeren Belichtungszeiten verschwanden. Das ist sehr ordentlich und sollte für die meisten Anwendungen ausreichend sein. Einen speziellen Mitziehmodus bietet der Bildstabilisator jedoch nicht.

Bildqualität

In der Praxis weiß die Bildqualität des Canon RF 600 mm F11 IS STM durchaus in einigen Bereichen zu überzeugen. Im Gegenlicht etwa, wo es mit hohen Kontrasten und kaum Blendenreflexen souverän agiert. Beim Bokeh ist das jedoch weniger der Fall. Es wirkt einerseits etwas unruhig, andererseits zeigt es aber vor allem bei Spitzlichtern helle Ränder der Unschärfescheibchen. Immerhin treten keine Farbsäume im Unschärfebereich auf.

In der Fokusebene sieht es mit den Farbsäumen ebenfalls gut aus, wie der Labortest an der Canon EOS R5 zeigt. Trotz der hohen Sensorauflösung von 45 Megapixeln zeigen sich so gut wie keine Farbsäume. Sie liegen im Mittel bei 0,2 und selbst im Maximum bei nur 0,3 Pixeln. Die Randabdunklung ist mit 0,1 Blendenstufen ebenfalls vernachlässigbar und auch die Verzeichnung fällt mit nur 0,5 Prozent Kissenform gering aus (siehe Diagramm aus dem Labortest unten).

Bei der Messung der Auflösung bei 50 Prozent Kontrast zeigt sich jedoch, wo die Achillesferse des Canon RF 600 mm F11 IS STM liegt. Es erreicht im Bildzentrum lediglich 53 Linienpaare pro Millimeter (lp/mm). Das wäre für eine 16 Megapixel auflösende Kamera sehr gut und für eine 24 Megapixel auflösende Kamera gut, aber bei 45 Megapixeln Sensorauflösung ist das viel zu wenig. Immerhin fällt der Auflösungs-Randabfall mit unter 15 Prozent gering aus.

Faktisch kann man aber auch beispielsweise das Canon RF 100-500 mm F4.5-7.1L IS USM bei maximaler Brennweite nehmen und das Bild entsprechend dem Ausschnitt eines 600mm-Objektivs beschneiden und hätte mindestens dieselbe Auflösung; und das, obwohl das 100-500mm am Teleende ebenfalls nicht gerade mit hoher Bildauflösung brilliert. Nur das geringere Gewicht und den deutlich niedrigeren Preis kann man dem 600mm im Vergleich zu einem Telezoom zugute halten.

Fazit

Das Canon RF 600 mm F11 IS STM ist zwar eine sehr preisgünstige, aber auch sehr spezielle Tele-Festbrennweite, bei der man außer beim Preis und niedrigen Gewicht einige Kompromisse eingehen muss. Da wäre nicht nur die geringe Lichtstärke mit fester Blende zu nennen, sondern auch das billige Gehäuse, das weniger schöne Bokeh und vor allem die niedrige Auflösung. Damit kommt es als Ergänzung zu einem Telezoom mit ähnlichem Brennweitenbereich, etwa dem Canon RF 100-500 mm F4.5-7.1L IS USM, nicht in Frage und als Alternative nur, wenn man nicht den hohen Preis eines solches Telezooms bezahlen möchte und das hohe Gewicht scheut. Immerhin ist beim Canon RF 600 mm F11 IS STM aber nicht alles schlecht, denn die optischen Fehler sind gering, das Gegenlichtverhalten gut und der Autofokus trotz der geringen Lichtstärke schnell.

Kurzbewertung

  • Geringes Gewicht
  • Niedriger Preis
  • Schneller Autofokus
  • Bildstabilisator
  • Geringe Lichtstärke
  • Feste Blende
  • Nur mäßige Auflösung
  • Kein Spritzwasser- und Staubschutz

Canon RF 600 mm F11 IS STM mit Canon EOS R5

Verzeichnung

Im digitalkamera.de-Testlabor werden mit Hilfe der Software Analyzer von DXOMARK verschiedene Bildqualitätsparameter gemessen. Der Labortest mit klar gestalteten und leicht verständlichen Diagrammen, Erklärungstexten in Form einer ausführlichen PDF-Datei zum Download kostet je nach Umfang 0,49 bis 1,49 EUR im Einzelabruf für eine Kamera und 0,49 bis 0,69 EUR für ein Objektiv. Flatrates, die den Zugriff auf das gesamte Labortest-Archiv erlauben, sind ab 2,08 EUR pro Monat buchbar. Eine Flatrate hat keine automatische Verlängerung und wird im Voraus für einen festen Zeitraum gebucht und bezahlt.

Hersteller Canon
Modell RF 600 mm F11 IS STM
Unverbindliche Preisempfehlung 749,00 €
Bajonettanschluss Canon RF
Brennweite 600,0 mm
Lichtstärke (größte Blende) F11
Kleinste Blendenöffnung F11
KB-Vollformat ja
Linsensystem 10 Linsen in 7 Gruppen
Anzahl Blendenlamellen 0
Naheinstellgrenze 4.500 mm
Bildstabilisator vorhanden ja
Autofokus vorhanden ja
Wasser-/Staubschutz nein
Filtergewinde 82 mm
Abmessungen (Durchmesser x Länge) 93 x 200 mm
Objektivgewicht 930 g

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Autor

Benjamin Kirchheim

Benjamin Kirchheim, 46, schloss 2007 sein Informatikstudium an der Uni Hamburg mit dem Baccalaureus Scientiae ab. Seit 1998 war er journalistisch für verschiedene Atari-Computermagazine tätig und beschäftigt sich seit 2000 mit der Digitalfotografie. Ab 2004 schrieb er zunächst als freier Autor und Tester für digitalkamera.de, bevor er 2007 als fest angestellter Redakteur in die Lübecker Redaktion kam. Seine Schwerpunkte sind die Kameratests, News zu Kameras und Fototipps.