Spiegellose Profi-Systemkamera

Testbericht: Sony Alpha 9

2017-09-05 Die Sony Alpha 9 ist die erste spiegellose Vollformat-Systemkamera, die auch für professionelle Sportaufnahmen taugen soll. Dafür besitzt sie nicht nur ein robustes Magnesiumgehäuse, sondern auch einen leistungsfähigen Autofokus sowie eine 20 Bilder pro Sekunde schnelle Serienbildfunktion – ohne Unterbrechung des Livebilds oder der Fokus-Verfolgung des Motivs. Im digitalkamera.de-Test muss die über 5.000 Euro teure 24-Megapixel-Kamera nun zeigen, was wirklich in ihr steckt.  (Benjamin Kirchheim)

Ergonomie und Verarbeitung

Mit einem betriebsbereiten Gewicht von etwas über 670 Gramm ist die Alpha 9 die bisher schwerste spiegellose Systemkamera von Sony. Die 50 Gramm Mehrgewicht gegenüber der Alpha 7R II liegen beispielsweise am robusteren Gehäuse. Es besteht aus einer Magnesiumlegierung, wobei Ober- und Unterseite aus einem Teil bestehen, die Front- und Rückplatte werden angeschraubt, was eine besondere Robustheit bringen soll. Unterstrichen wird diese vom verstärkten Bajonett, das auch große und schwere Objektive verwindungsfrei aufnimmt und dem verbesserten Staub- und Spritzwasserschutz. Jedenfalls ist zumindest am Akkufach eine Dichtung zu erkennen, an den Schnittstellenklappen und dem Speicherkartenfach hingegen nicht. Ob die Alpha 9 also genauso viel Wasser ab kann, wie manch andere Kamera, die sich unter fließendem Wasser abspülen lässt, kann man zumindest bezweifeln.

Wie es sich für eine spiegellose Systemkamera gehört, fällt das Gehäuse recht kompakt aus, ohne dabei zu klein zu sein, um einen vernünftigen Handgriff, Klappbildschirm und Sucher sowie die nötigen Bedienelemente unterzubringen. Die Alpha 9 liegt dank ihres guten Handgriffs und dessen "Belederung" – auch auf der Rückseite – wunderbar in der Hand. Nur ein Wenig Höhe fehlt dem Griff, sodass bei manchem der kleine Finger nicht mehr so richtig Halt findet. Sony bietet dafür Abhilfe im Zubehörprogramm an. Die hochwertig gearbeitete Griffverlängerung GP-X1EM sorgt für eine bessere Griffigkeit, ohne dass man sich mit einem schweren Multifunktionsgriff samt Hochformatauslöser, den es ebenfalls gibt, belasten muss. Der Auslöser sitzt gut erreichbar, ist jedoch sehr weich abgestimmt und ohne konkret fühlbaren Druckpunkt. Das macht es nicht einfach, den Fokus zu halten, ohne versehentlich auszulösen. Manch einer bevorzugt dies hingegen sogar. Ansonsten kann man sich mit der AF-On-Taste auf der Rückseite behelfen und den Fokus vom Auslöser trennen.

Mit Bedienelementen ist die Sony Alpha 9 reichlich gesegnet. Mehrere Tasten sind programmierbar, um die Kamerabedienung an die eigenen Bedürfnisse anpassen zu können. Zudem gibt es einen Fokus-Joystick, ein per Taster gesichertes Programmwählrad mit drei Individualspeichern, ein Belichtungskorrekturrad, Einstellräder für den Aufnahmemodus sowie den Fokusmodus (beide auch wie das Programmwählrad gesichert) sowie drei Universal-Einstellräder, zwei davon auf der Kamerarückseite. Das Belichtungskorrekturrad geht zwar schwer, dürfte gegen versehentliches Verstellen aber gerne noch etwas fester einrasten. Außerdem verfügt die Alpha 9 über ein Funktionsmenü für weitere Aufnahmeparameter, für die kein Platz mehr auf Tasten ist. Das Hauptmenü unterteilt sich in sechs Kategorien mit bis zu 13 Unterseiten, was nicht gerade übersichtlich ist. So muss man sich durch die Seiten hangeln, um beispielsweise die umfangreichen Fokuseinstellungen zu finden. Eine feinere beziehungsweise zweite Kategorieebene wäre sicher keine schlechte Idee, so sind die Seiten einfach nur mit Textblöcken zur Beschriftung versehen. Für etwas Ordnung kann das "Mein Menü" sorgen, das bis zu 30 bevorzugte Menüpunkte aufnimmt. Was der Sony im Vergleich zu einer ausgewachsenen Profi-DSLR fehlt, ist ein Statusdisplay, dafür war einfach kein Platz mehr.

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Ein echtes Highlight der Alpha 9 ist ihr elektronischer Sucher. Mit 3,7 Millionen Bildpunkten gehört er zu den höchstauflösenden Suchern am Markt. Zudem bietet er eine 0,78-fache Vergrößerung mit einer Zeiss-Optik und einem großen Dioptrienkorrekturbereich. Sony betont die höhere Helligkeit des Suchers sowie die geringe Latenz. Mindestens letzteres können wir bestätigen, eine Verzögerung zum Realbild ist kaum noch wahrnehmbar. Bei heller Sonneneinstrahlung hingegen sieht man durchaus noch einen Unterschied zum kontrastreicheren und helleren Echtbild. Die Auflösung jedoch ist so hoch, dass man schon ganz schön suchen muss, um noch ein Pixelmuster zu erkennen. Es ist nur noch bei sehr feinen regelmäßigen Strukturen zu erahnen. Für Brillenträger ist die Austrittspupille, wie so oft, etwas knapp bemessen. Den ganzen Sucher kann man nicht wirklich überblicken, die Ränder schatten ab. Zum Glück gibt es die weitreichende Dioptrienkorrektur.

Der rückwärtige Bildschirm braucht sich mit seiner Auflösung von 1,44 Millionen Bildpunkten ebenfalls nicht verstecken. Er ist im 4:3-Seitenverhältnis gehalten, was unterhalb des Livebilds noch etwas Platz für Statusanzeigen lässt, ohne dass diese das Bild bedecken. Bei dem 7,5 Zentimeter großen Bildschirm handelt es sich um einen Touchscreen, der nach oben und unten geklappt werden kann. Die Touchfunktionalität beschränkt sich jedoch auf das Setzen des Fokuspunkts. Kein Menü und auch nicht die Wiedergabe lässt sich per Fingertipper oder -wischer bedienen. Mit einer maximalen Helligkeit von 1.145 cd/m² leuchtet der Bildschirm äußerst hell, wenn man den Sonnen-Modus aktiviert. Damit bleibt er auch bei hellem Sonnenschein gut ablesbar. Sowohl der Sucher als auch der Monitor bieten eine Vorschau auf Weißabgleich, Belichtung und Schärfentiefe, zudem lassen sich neben Informationen auch eine elektronische 3D-Wasserwaage, ein Live-Histogramm und verschiedene Gittermuster einblenden.

Beim Lithium-Ionen-Akku handelt es sich um einen anderen Typ als bisher, dafür bietet er eine höhere Kapazität. Er reicht für 480 Aufnahmen mit Sucher oder sogar 650 Aufnahmen mit dem rückwärtigen Monitor – eine sehr ordentliche Leistung. Zudem gibt die prozentgenaue Restkapazitätsanzeige stets eine genaue Auskunft über den Ladezustand. Apropos laden: Sony liefert nicht nur ein externes Ladegerät mit, sondern auch ein USB-Netzteil, das über die Micro-USB-Schnittstelle angeschlossen wird. Es kann aber auch jedes normale USB-Netzteil verwendet werden. Darüber kann der Akku auch in der Kamera geladen werden – auch während des Betriebs, was die Laufzeit erhöht. Zudem bietet Sony nicht nur einen Multifunktionsgriff an, sondern auch einen externen Batteriehalter für vier Akkus, was auf dem Stativ oder Video-Rigg die Laufzeit deutlich erhöht. Entnommen wird der Akku an der Kameraunterseite. Das Fach ist weit genug entfernt vom in der optischen Achse sitzenden Stativgewinde, um auch bei größeren Schnellwechselplatten zugänglich zu bleiben.

Die Speicherkarte hingegen wird seitlich entnommen. Das Fach besitzt einen Verriegelungsschieber und springt automatisch auf, sobald man ihn betätigt. Der Slot 1 ist kompatibel mit SD sowie SDHC und SDXC mit UHS I und II, schreibt jedoch trotzdem nur mit lediglich knapp 105 MB/s. Unsere eingesetzte Testkarte von Sony ist fast dreimal so schnell. Der Speicherkartenplatz II nimmt wahlweise einen Memorystick oder eine SD, SDHC oder SDXC-Karte auf, unterstützt jedoch nur UHS I. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich hinter drei Verschlüssen zahlreiche Schnittstellen. Neben Micro-USB sind hier auch Micro-HDMI, eine Blitzsynchronbuchse, ein LAN-Netzwerkanschluss sowie eine Mikrofonbuchse und ein Kopfhörerausgang zu finden.

Ausstattung

Obwohl es sich bei der Alpha 9 um eine Profikamera handelt, besitzt sie einen Vollautomatikmodus samt Motiverkennung sowie eine Gesichtserkennung mit Speicher für acht Gesichter. Der Auto-Modus ist aber eher als "Panik-Modus" zu verstehen, falls es einmal schnell gehen soll. Dinge wie wählbare Motivprogramme, Effektfilter, eine Schwenkpanoramafunktion oder eine HDR-Automatik bietet die Sony nicht. Nur ein paar Bildstile gibt es. Der Fokus liegt auf den klassischen Kreativprogrammen sowie dem Videomodus. Dabei lässt sich der manuelle Modus auch mit der ISO-Automatik kombinieren, sogar an eine aktive Belichtungskorrektur hat Sony gedacht. Der Verschluss arbeitet mechanisch mit bis zu 1/8.000 Sekunde kurzen Belichtungszeiten und ist für 500.000 Auslösungen ausgelegt – an der Langlebigkeit sollten also keine Zweifel aufkommen, andere Profikameras müssen mit weniger versprochenen Auslösungen auskommen. Zudem bietet die Alpha 9 einen völlig lautlosen elektronischen Verschluss mit bis zu 1/32.000 kurzen Belichtungszeiten. Dabei kommt es kaum noch zu einem Rolling-Shutter-Effekt, der Bilder bei schnellen Bewegungen verzerrt.

Die Serienbildfunktion ist sogar auf den elektronischen Verschluss ausgelegt. Sie arbeitet mit 20 Bildern pro Sekunde schneller als jede DSLR – und das bei voller Auflösung von 24 Megapixeln und mit unterbrechungsfreiem, 60 fps schnellen Sucherbild. Eine Dunkelzeit wie bei einer DSLR gibt es also nicht mehr und genauso kein gefaktes Sucherbild wie bei anderen elektronischen Suchern, das in Wahrheit das letzte Serienbild anzeigt und damit alles andere als "live" ist. Mit der Alpha 9 verliert man auch bei Mitziehern sein Motiv nicht mehr aus dem Sucherblick. Die 20 Serienbilder pro Sekunde hält die Sony Alpha 9 dank des großen Pufferspeichers für wahlweise 242 Raw- oder 357 JPEG-Bilder durch. Das ist schon enorm. Das Speicherkarteninterface ist dabei jedoch ein echter Flaschenhals, denn es braucht einige Zeit, bis der Puffer wieder geleert ist. Während dieser Zeit ist das Kameramenü gesperrt, das Schnellmenü und die sonstigen Tasten- und Auslösefunktionen sind jedoch weiterhin bedienbar. Interessanterweise dauert es bei Raw "nur" knapp eine Minute, bis der Puffer leer ist, bei JPEG sind es 4 1/2 Minuten! Diesen enormen Unterschied können wir uns nur mit einer aufwändigen JPEG-Bildaufbereitung erklären, denn die zu speichernden Datenmengen sind in JPEG geringer. Während in JPEG nur mit effektiv 46,3 MB/s geschrieben wird, sind es in Raw knapp 105 MB/s. Vom bisherigen Spitzenreiter, der Olympus E-M1 Mark II, ist die Sony Alpha 9 jedoch noch meilenweit entfernt, die Olympus schreibt mit 170 Megabyte pro Sekunde auf eine entsprechend schnelle UHS-II-Speicherkarte.

Um tatsächlich professionell Sport- und Actionmotive einzufangen, braucht es jedoch nicht nur eine schnelle Serienbildfunktion, sondern auch einen zuverlässigen Autofokus. Mit der Fokusmessung direkt auf dem Sensor sowie dem 60 Bildern pro Sekunde schnellen Livebild und entsprechend auch der kontinuierlichen Messung während der Serienbildfunktion hat die Sony schonmal echte Vorteile, denn ein DSLR-Autofokus ist blind während der Belichtung sowie beim hochgeklappten Spiegel, der ja noch länger als die eigentliche Belichtung nicht in die Ruheposition zurückkehrt. Hinzu kommt, dass auf dem Bildsensor ganze 693 Phasen-Autofokus-Messfelder sitzen, die bis fast an den Bildrand reichen. Sie können bestimmen, in welche Richtung und wie weit beziehungsweise schnell sich das Motiv bewegt. Eine DSLR mit ihrem separaten Autofokusmodul hingegen birgt die Gefahr von Front- und Backfokusproblemen. Die ausgeklügelten Algorithmen und vielfältigen Steuermöglichkeiten in der Kamera, etwa, wie der Autofokus reagieren soll und welche Messfelder anzusteuern sind, tragen ihren Teil zum zuverlässigen Autofokus bei. Tatsächlich packt der im Labor und in der Praxis rasant zu: Weniger als eine Sechstel-Sekunde dauert es, bis die Kamera von unendlich auf zwei Meter fokussiert hat. In der Praxis verfolgt sie schnell bewegte Motive mühelos. Auch bei wenig Licht arbeitet der Autofokus noch, bis zu -3 EV ist er lichtempfindlich.

Fortsetzung auf Seite 2

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Autor

Benjamin Kirchheim

Benjamin Kirchheim, 46, schloss 2007 sein Informatikstudium an der Uni Hamburg mit dem Baccalaureus Scientiae ab. Seit 1998 war er journalistisch für verschiedene Atari-Computermagazine tätig und beschäftigt sich seit 2000 mit der Digitalfotografie. Ab 2004 schrieb er zunächst als freier Autor und Tester für digitalkamera.de, bevor er 2007 als fest angestellter Redakteur in die Lübecker Redaktion kam. Seine Schwerpunkte sind die Kameratests, News zu Kameras und Fototipps.