Rubrik: Motive und Situationen

Die Kunst der Bildkomposition in der Landschaftsfotografie

2007-03-12 Die Darstellung von belebter und unbelebter Natur kann banal, kitschig oder über Vermittlung von unsichtbaren Inhalten erfolgen. Letzteres trifft auf jede Form von Kunst zu, auch bei jenen Fotos, die den Anspruch auf Einzigartigkeit erheben. Die Fotografie erfüllt zweifellos den Zweck der Dokumentation; ein künstlerischer Aspekt ist damit aber sicher noch nicht unmittelbar verbunden. Auch in der Landschaftsmalerei wurde und wird immer wieder festgestellt, ein Bild müsse nicht nur die Realität wiedergeben, sondern auch jene Inhalte vermitteln, die nicht auf den ersten Blick sichtbar seien.  (Michael Paulus)

Bild 1 Der Betrachter projiziert eigene Vorstellungen ins Bild [Foto: Michael Paulus] Analysieren wir einige wesentliche Punkte, die dem ambitionierten Landschaftsfotografen bei der Erweiterung seiner Möglichkeiten Hilfe sein können.

Zunächst zur Aufnahmeposition: Man fotografiert mehrere Bilder hintereinander von verschiedenen Stellen aus. Man wechselt den Standort dabei horizontal von rechts nach links um mehrere Meter, anschließend variiert man auch die Höhe. Letzteres verlangt natürlich, dafür in die Knie zu gehen, möglichst tief hinunter. Das mag anstrengend sein und bei mangelnder Kondition auch zu zitternden Händen führen, aber es zahlt sich in den meisten Fällen aus. Aber man wird belohnt durch einen Zugewinn an räumlicher Tiefe, indem sich etwa einige unscharfe Grashalme malerisch vor die Szenerie legen – Überraschungen sind angesagt. In die Höhe kommt man maximal über Kopf, dabei erweist sich ein aufklappbares und schwenkbares Display zur Bildkontrolle als sehr hilfreich. Auch im Film setzen gute Regisseure und Kameramänner an dramaturgisch richtigen Stellen gerne Schwenks von oben über die Szenerie mit Hilfe von Kamerakränen ein. So erlebt der Zuschauer Blickwinkel, die er sonst nicht sieht. Und Ungewohntes ist immer spannend, macht neugierig, regt an. Auf jeden Fall sollte man einen der wichtigen Vorteile nutzen, den digitale Kameras eröffnen: Wo man mit Film nur ein Bild geschossen hätte, belichtet man digital zehn oder mehr Bilder. Am Bildschirm oder ausgedruckt nebeneinander liegend lernt man so, zukünftig automatisch günstige Blickwinkel schnell zu erkennen.

Der Aufnahmeausschnitt ist mit der Aufnahmeposition mehr oder weniger stark verbunden. Ihn kann man sowohl durch horizontale Bewegung vor oder zurück als auch durch Wechsel der Objektivbrennweite beeinflussen. Die Schärfentiefe bestimmt, welcher Bildbereich, von vorne nach hinten betrachtet, scharf dargestellt wird. Sie ist ein wichtiges Stilmittel, wobei hier von Durchschnitt eher abzuraten ist. Interessant sind die Extreme: Ein schöner Zweig mit bunten Herbstblättern durch ein Teleobjektiv scharf im Vordergrund abgebildet, der Hintergrund eine unscharfe, hügelige Landschaft, deren Geheimnisse man gerne erkunden würde. Oder aber eine extreme Schärfentiefe, erreicht durch ein Weitwinkelobjektiv, das die Weite des Raumes wiederum realitätsfremd betont. Der Betrachter ist lange damit beschäftigt, alle Bereiche zu erkunden.

Bild 2 Der Betrachter fragt sich, was der Junge wohl sieht [Foto: Michael Paulus] Auch bei der Belichtung gilt: Lernen über Ausprobieren. Das heißt, mehrere Bilder hintereinander zu belichten, von stark unter- bis stark überbelichtet. Ein majestätischer Baum inmitten überbelichteter, sonnendurchfluteter Wiesenumgebung kann genauso reizvoll sein wie eine klar durchzeichnete Wolkenstimmung über unterbelichteter Landschaft. Dabei ist mit dem gekonnten Einsatz eines Aufhellblitzes, der gewisse Bereiche im Vordergrund betont, eine weitere Steigerung von atmosphärischer Tiefe zu erreichen.

Von allergrößter Bedeutung für ein gelungenes Foto ist jener Bildteil, der sich gar nicht auf dem Foto wieder findet. Diese Feststellung mag zunächst paradox klingen, wird jedoch mit Hilfe eines einfachen Vergleiches besser verständlich: Nackte Haut etwa verliert sehr schnell ihren Reiz, verhüllte Formen dagegen machen neugierig und regen die Phantasie an. Zwei Beispielfotos sollen das erläutern. Bild 1 zeigt überwiegend Abendhimmel über einer entfernten Baumzeile. Es lässt den Betrachter eine im Vordergrund befindliche, nicht wirklich sichtbare Landschaft erkunden, die er selber hinein projiziert. Oben steht "im Dreieck" ein Halbmond, den der Betrachter mit seinen eigenen Mondvorstellungen und Mond-Erlebnissen verbindet. Bild 2 zeigt einen Jungen auf einer Wiese. Der Betrachter würde gerne wissen, was jener gerade an diesem romantischen Abend in der Ferne sieht.

Auch in der Malerei, sowohl in der Landschafts- als auch in der Portraitmalerei wurde und wird immer wieder festgestellt, ein Bild müsse nicht nur die Realität wiedergeben, sondern auch jene Inhalte vermitteln, die nicht auf den ersten Blick sichtbar seien. In vorfotografischen Zeiten war das genaue Abbilden eines Ist-Zustandes von großer Bedeutung. Die Fotografie erfüllt zweifellos den Zweck der Dokumentation. Ein künstlerischer Aspekt ist damit aber sicher nicht unmittelbar verbunden.

Man kann die Meinung vertreten, ein gutes Foto müsse wie ein Gemälde aussehen; das Foto sei nur mehr Mittel zum Zweck der Darstellung unsichtbarer Inhalte, es bilde die Natur nicht nur ab, sondern interpretiere sie, es befreie sie von der Zeit, von der Vergänglichkeit.

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