Warum wir nicht mehr über Crowdfunding berichten

Erfahrungen mit Crowdfunding-Kampagnen

Seite 2 von 2, vom 2018-08-17, aktualisiert 2018-08-18 (Autor: Jan-Markus Rupprecht)Zur Seite 1 wechseln

AER Wurfpfeil für GoPro Actioncams

Auf digitalEyes.de hatten wir einmal über einen ganz witzigen Wurf-Pfeil namens AER berichtet. In den sollte man eine GoPro Actioncam einsetzen und diese Konstruktion hochwerfen können. Bei zuvor eingeschalteter schneller Serienbildfolge oder mit einem hochauflösenden 4K-Video landen dann theoretisch einige nette "Luftaufnahmen" oder "Flugaufnahmen" auf der Speicherkarte. Wirklich teuer war das nicht; den Spaß wollte ich mir gern gönnen. Während der Entwicklung zeigte sich, dass die Stabilität der Styropor-Flügel nicht ausreichte. Die Entwickler bauten erst einen Carbon-Streifen ein und dann noch einen Spanngurt drumherum, bis sie einigermaßen zufrieden waren. So traf der Wurf-Pfeil mit erheblicher Verspätung (zum Winter und nicht zum Frühjahr) bei den Kunden ein. Zwischenzeitlich war längst eine neue Generation GoPro-Kameras auf dem Markt, die mit dem für die alten Modelle entwickelten Gehäuse nicht hunderprozentig kompatibel war (Vignettierungen in den Bildecken).

In der Praxis zeigte sich dann schnell, dass ein sorgloser Umgang mit dem Ding nicht möglich ist. Der Hersteller selbst weist beim fertigen Produkt darauf hin, dass der AER-Pfeil nur auf sehr weichem Untergrund aufschlagen darf, andernfalls könne nicht garantiert werden, dass alles heil bleibt. Alternativ möge man den Pfeil mit der Kamera bitte mit der Hand auffangen. Bis zur Hüfte durch weichen Neuschnee zu stapfen ist bekanntlich kein Vergnügen. Und in grundsätzlich weichen Untergründen wie Sand oder Gras befinden sich nicht selten größere Fremdkörper (z. B. Steine am Strand). Diese gefährden nicht nur den AER-Wurfpfeil, sondern vor allem auch das Schutzglas vor dem Objektiv der GoPro Actioncam. Die gefahrlosen Einsatzmöglichkeiten sind also sehr beschränkt.

Und mit dem Auffangen ist das auch so eine Sache. Man soll ja beim Fangen das vordere, harte Kameragehäuse fassen und nicht etwa die sensiblen, bruchgefährdeten Flügel. Das ist leichter gesagt als getan und wenn das nicht klappt, klopft einem das Geschoss entweder erheblich auf die Fingerknöchel (Aua!) oder man erwischt doch irgendwie die Flügel und muss sich dann nicht wundern, wenn das Ding nach kurzer Zeit kaputt geht. Aus Hunderten von Serienbildern das eine herauszufischen, das vielleicht ganz nett geworden ist, ist auch nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung. Im Grunde also ein eher kurzer und zweifelhafter Spaß. Das Geld hätte ich mir wirklich sparen können.

Panono Panoramakamera

Richtig übel ging die Sache mit Panono aus. Das war ja die eigentlich geniale Ball-Wurf-Panorama-Kamera von Jonas Pfeil, die wir auf digitalEyes.de intensiv verfolgt haben. Die Idee und auch die Geschichte waren lange Zeit richtig schön. Ein Ball mit 36 eingebauten 5-Megapixel-Smartphone-Kameras sollte hochgeworfen werden können und auf dem höchsten Punkt der Flug-Parabel automatisch alle 36 Kameras auslösen. Die Fotos würden dann von einem Cloud-Service zu einem 360x360-Grad-Panoramafoto mit satten 108 Megapixeln Auflösung zusammengefügt und ermöglichen so ganz spielerisch quasi Panorama-Luftaufnahmen. Natürlich sollte das ganze auch vom Selfie-Stick oder Stativ per Auslösung vom Smartphone gehen. Der angedachte Preis war noch Consumer-tauglich: rund 500 Euro kostete die Kameras damals im Rahmen der Crowdfunding-Kampagne. Von Rabatten auf einen späteren Verkaufspreis war da fairerweise nicht die Rede, aber das lies auf einen regulären Verkaufspreis von deutlich unter 1.000 Euro und damit auf eine Erfolgsgeschichte hoffen, denn für eine 108-Megapixel-One-Shot-Panoramakamera ist das nicht zu viel Geld. Die Kampagne war auch ein Riesenerfolg, das Ziel wurde weit übertroffen und Jonas Pfeil und seine Leute sammelt 1,25 Mio. US-Dollar ein. Rund 2.600 Panono-Kameras waren "vorverkauft".

Bei der Entwicklung zum Serienprodukt ergaben sich dann allerdings zahlreiche Probleme und Verzögerungen. Die Unterstützer wurden immer und immer wieder vertröstet. Als dann alles soweit lief, war klar, dass die Sache mit dem Hochwerfen so eigentlich nur geht, wenn man die Kamera auch wirklich zuverlässig wieder auffängt (und wer kann sich da schon sicher sein), andernfalls würde das Gerät beim Aufprall auf den Boden Schaden nehmen. Für Leute, die ohnehin eher vom Selfie-Stick oder vom Stativ aus fotografieren wollten, musste das kein Problem sein. Aber auch diese bekamen mehrheitlich keine Kameras geliefert. Zwar wurden einige Kameras gebaut und an Unterstützer ausgeliefert (wie viele verrät der Hersteller nicht), aber das Geld reichte nicht, alle Unterstützer zu beliefern. Der Verkaufspreis der Kamera wurde unterdessen auf 2.140 Euro angehoben und wer dieses Geld ausgeben wollte, konnte auch tatsächlich eine kaufen. Aus dem Gewinn der teuer verkauften Kameras sollten dann die Kameras für die ursprünglichen Unterstützer hergestellt werden, die offenbar gar nicht kostendeckend produziert werden konnten. Was natürlich, wenn überhaupt, nur mit der sehr geringen Stückzahl erklärt werden kann. Was für 500 oder 700 Euro ein großer Erfolg hätte werden können, bleibt für 2.140 Euro natürlich ein Nischenprodukt.

So meldete die Firma Panono im Mai 2017 Insolvenz an, um kurz darauf einen Investor zu präsentieren, der das Geschäft unter dem neuen Firmennamen Professional360 GmbH fortführt. Dies natürlich ohne die Kamera an die Unterstützer auszuliefern, denn selbstverständlich übernahm die Nachfolgefirma nur die "Assets", nicht aber die Verpflichtungen. Entsprechend habe auch ich meine Kamera nie bekommen. Meine einzigen Aufnahmen mit einer Panono-Ballkamera entstanden während einer PMA in Las Vegas mit einem dort ausgeliehenen Testgerät.

Die Liste der Beispiele ließe sich noch beliebig erweitern. So gibt es z. B. Zusatzgriffe, die ein Smartphone in eine "echte Kamera" verwandeln sollen. Die Renderings (auf Basis von Konstruktionszeichnungen per Computer erzeugte fotorealistische Darstellungen) in der Präsentation sehen auch super aus, als seien die Griffe bei Leica in Portugal aus einem massiven Alu-Block gefräst und fein eloxiert worden. Schaut man sich die Produkte dann auf einer Messe an, stößt man stattdessen auf billiges, silber lackiertes Plastik und eine echt gruselige Haptik. Und der Nutzen ist sowieso zweifelhaft. Oder wie viele Actioncam-Zusatz-Videoleuchten wurden eigentlich schon per Crowdfundig finanziert? Braucht man sowas? Und immer wieder und wieder?

Mein persönliches Fazit fürs Crowdfunding lautet generell: Technische Produkte, egal wie trivial die erscheinen mögen (siehe Actioncam-Wurfpfeil), werde ich nicht mehr vorfinanzieren. Egal wie günstig oder wie teuer die Sachen sind oder wie viel ich scheinbar sparen kann oder wie toll ich die Idee vielleicht finde – das Produkt soll erstmal fertig sein und zeigen, was es kann. Dann kann ich entscheiden, ob es mir das Geld wert ist und ich kann es vorher ausprobieren (beim lokalen Händler) oder notfalls zurückgeben (beim Online-Händler) und mir oft aufgrund von Tests in vertrauenswürdigen Publikationen oder einer ausreichend hohen Anzahl an Kundenbewertungen vorab eine Enttäuschung ersparen. Selbst Premium-Marken bringen gelegentlich Produkte, die nicht richtig gut geworden sind. Wie viel höher ist da die Wahrscheinlichkeit, dass dies einem Newcomer passiert?

Es werden aber ja nicht nur technische Produkte über Crowdfunding finanziert und so können andere Erfahrungen durchaus besser sein. "Ich mag die Idee des Crowdfundings, weil so neuen und unkonventioneunko Ideen die Möglichkeit der Verwirklichung gegeben wird", sagt beispielsweise mein Kollege Harm-Diercks Gronewold. "Gerade kleine neue Firmen profitieren von dieser Art der Produktfinanzierung. Von den Projekten, die ich mit finanziert habe, scheint nur ein einziges nicht in die Auslieferung zu kommen. Alle anderen wurden, mehr oder weniger pünktlich, ausgeliefert. Die Produkte, die ich finanziere, sind aber nicht technischer Natur. Zum überwiegenden Teil handelt es sich um Projekte kleinerer Buchverlage, Musiker oder TV-Produktionen. Allerdings sollte man auch in diese Projekte nicht überstürzt reinlaufen. Für mich ist das Unterstützen von Projekten an eine einzige eigene Regel gebunden: 'Bin ich bereit diesen Betrag zu verlieren?'. Wenn die Antwort 'ja' lautet, wird das Projekt unterstützt, wenn die Antwort 'nein' lautet, dann nicht. Damit bin ich bislang sehr entspannt durch meine finanzierten Projekte gekommen. Technische Geräte finanziere ich zur Zeit nicht, da das Risiko vom Konzept bis zum fertigen Produkt oftmals unüberschaubar ist."

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Autor

Jan-Markus Rupprecht

Jan-Markus Rupprecht, 59, fotografiert mit Digitalkameras seit 1995, zunächst beruflich für die Technische Dokumentation. Aus Begeisterung für die damals neue Technik gründete er 1997 digitalkamera.de, das Online-Portal zur Digitalfotografie, von dem er bis heute Chefredakteur und Herausgeber ist. 2013 startete er digitalEyes.de als weiteres Online-Magazin, das den Bogen der digitalen Bildaufzeichnung noch weiter spannt.