Lichtstarkes High-End-Objektiv

Testbericht: Zeiss Otus 1.4/85

2014-09-11 Montag stellte Zeiss das neue Otus 1.4/85 vor, am selben Tag schon erreichte ein Testexemplar unsere Redaktion. Sogleich wurde es an der Nikon D800E im Testlabor vermessen und in der Praxis getestet. Der Preis von knapp 4.000 Euro ist eine echte Hausnummer, zumal es sich um ein rein mechanisch fokussiertes Objektiv handelt, auf einen Autofokus muss man verzichten. Immerhin bietet das Objektiv eine elektronische Schnittstelle zur Kamera, womit sich nicht nur die Blende von der Kamera aus steuern lässt, sondern auch die Einstellungen und Brennweite in die EXIF-Daten eingetragen werden.  (Benjamin Kirchheim)

Als Testkamera diente die derzeit am höchsten auflösende Kleinbild-DSLR Nikon D800E. Mechanisch ist das Objektiv eine Bombe. Es ist aus purem Metall äußerst präzise gefertigt und besitzt kontrastreiche gelbe Beschriftungen, die zudem ins Metall gefräst sind. Zum Lieferumfang gehört eine Streulichtblende aus Metall, die sich zum kompakteren Verpacken auch verkehrt herum aus das Objektiv setzen lässt. Wobei kompakt eigentlich das falsche Wort ist, denn mit einem Durchmesser von gut zehn Zentimeter und einer Länge von gut 12 Zentimeter ist das Objektiv ein echter Brummer, es bringt ohne Deckel und Streulichtblende satte 1,1 Kilogramm auf die Waage. Da mutet die Streulichtblende mit ihren 100 Gramm schon fast als Fliegengewicht an, betriebsbereit montiert ergeben die Nikon D800E, das Otus und die Streulichtblende 2,2 Kilogramm Lebendgewicht, die durch die Gegend geschleppt werden wollen. Am besten hat man dazu gleich das passende, stabile Stativ im Gepäck, denn freihand lässt sich die manuelle Schärfe zumindest bei Offenblende kaum sinnvoll setzen und halten.

Die Fokussierung ist, obwohl rein manuell, ein wahrer Traum. Der breite gummierte Fokusring läuft butterweich und bietet von der Naheinstellgrenze von 80 Zentimeter bis unendlich einen großen Drehwinkel von 270 Grad. Damit lässt sich sehr feinfühlig und präzise fokussieren. Sowohl eine Fokusskala als auch die Blendenwerte für die Schärfentiefe sind aufgedruckt, wobei man bei solch hohen Auflösungen wie bei der Nikon D800E eher einen engeren Bereich ansetzen sollte, wenn man die Schärfe auch noch bei Vergrößerungen genießen möchte. Für eine präzise Fokussierung nutzt man am besten ein Stativ und die Live-View-Funktion der Kamera samt Fokuslupe. Hier kann getrost auf die 14-fache Vergrößerung geschaltet werden, denn selbst hier ist die Schärfe sehr gut zu beurteilen, weil das Objektiv in der dünnen Schärfeebene so scharf zeichnet.

Nur die Variante mit Nikon-Anschluss bietet einen Blendenring, der optional eine manuelle Steuerung der Blende wenigstens in halben Stufen erlaubt. Allerdings sitzt der Blendenring direkt am Bajonett und ist im Durchmesser deutlich schlanker als das Objektiv. Er lässt sich an der D800E nicht schön bedienen und so sollte man ihn lieber bei F16 arretieren und die Steuerung bequem per Drehrad von der Kameras aus vollführen. Das macht auch nichts, denn der Blendenring wird von der Kamera ohnehin nicht unterstützt, sie zeigt bei einer anderen Blende als F16 einfach nur "EE" im Blendenfeld des Statusdisplays an.

In der Praxis zeigt das Zeiss Otus 1.4/85 bereits bei Offenblende eine gnadenlose Schärfe, wobei man aber sagen muss, dass man bei der Wahl des Hintergrunds aufpassen sollte, denn das allercremigste Bokeh besitzt dieses Objektiv nicht. Ein unruhiger Hintergrund bleibt aufgrund der etwas scharf abgesetzten Unschärfekreise auch etwas unruhig, es sei denn er ist sehr weit außerhalb der Schärfeebene, dann kann das Bokeh überzeugen.

Der Labortest bestätigt die visuell wahrgenommene hohe Offenblendschärfe. Bereits bei Offenblende werden im Bildzentrum 70 Linienpaare pro Millimeter (lp/mm) aufgelöst, die maximale Auflösung wird bei F4 mit knapp 76 lp/mm im Bildzentrum erreicht (siehe Diagramm aus dem Labortest unten). Selbst auf F11 abgeblendet sind es noch 71 lp/mm und bei F16 67 lp/mm; Beugung spielt also bei dem Objektiv praktisch keine Rolle. Der Auflösungsabfall zum Bildrand beträgt von F1,4 bis F4 etwa zehn Prozent, das ist schon zu vernachlässigen, ab F5,6 nimmt der Randabfalls der Auflösung nochmals deutlich ab. Zum Vergleich: Das Nikon 1,4/85 mm erreicht bei keiner Blende an der D800E eine Auflösung von 70 lp/mm, bei Offenblende sind es gar nur 53 lp/mm. Das Nikkor ist also keine ernstzunehmende Konkurrenz für die fast perfekt hohe Auflösung des Zeiss Otus. Darüber hinaus weist das Otus kaum optische Fehler auf. Die Randabdunklung beträgt bei Offenblende etwas über eine Blendenstufe, auf F2,8 abgeblendet verschwindet sie völlig. Auch die minimale kissenförmige Verzeichnung von 0,2 Prozent spielt in der Praxis keine Rolle. Die Farbsäume sind im Mittel mit unter 0,5 Pixel ebenfalls verschwindend gering, bis F2,8 können an den Bildrändern aber minimal stärkere Farbsäume im Bereich von 1 bis 1,5 Pixel Breite auftreten. Angesichts der hohen Sensorauflösung der Nikon D800E spielen diese aber auch keine praxisrelevante Rolle.

Fazit Optisch wie mechanisch ist der Zeiss Otus 1,4/85 über jeden Zweifel erhaben. Schon bei Offenblende löst es höher auf als das Nikon 1,4/85 mm es überhaupt insgesamt vermag. Praktisch bei jeder einstellbaren Blende von F1,4 bis F16 liefert das Zeiss eine einwandfreie Schärfe, die ihresgleichen sucht. Der Preis dafür ist ein nicht immer ganz so cremiges Bokeh, wie man es vielleicht von speziellen Porträtobjektiven kennt. Man muss ein wenig aufpassen, was sich im Hintergrund befindet beziehungsweise ob er weit genug von der Fokusebene entfernt liegt. Neben dem sehr hohen Preis und Gewicht ist der rein manuelle Fokus der wohl größte Kompromiss, den man für die optische Leistung in Kauf nehmen muss. Vor allem bei Offenblende werden das Stativ und statische Motive schon fast zur Pflicht, um die Schärfe präzise setzen zu können und nicht zum Lottospiel verkommen zu lassen.

Kurzbewertung

  • Grundsolide, über jeden Zweifel erhabene Verarbeitung und Haptik
  • Bildqualität auf allerhöchstem Niveau
  • Butterweicher, wirklich gut zu bedienender Fokusring
  • Große, kontrastreiche Fokusskala
  • Kein Autofokus
  • Hoher Preis
  • Groß und Schwer
  • Blendenring (nur bei der Nikon-Variante) schlecht erreichbar

Zeiss Otus 1.4/85 mm mit Nikon D800E (v6.0)

Auflösung MTF


D800E

F1,4F2,0F2,8F4,0F5,6F8,0F11,0F16,0
85 mm70,1 / 61,8 (12 %)73,1 / 64,5 (12 %)75,2 / 66,4 (12 %)75,9 / 69,1 (9 %)73,6 / 71,3 (3 %)72,8 / 71,9 (1 %)71,1 / 70,1 (1 %)67 / 65,7 (2 %)

Im digitalkamera.de-Testlabor werden mit Hilfe der Software Analyzer von DXOMARK verschiedene Bildqualitätsparameter gemessen. Der Labortest mit klar gestalteten und leicht verständlichen Diagrammen, Erklärungstexten in Form einer ausführlichen PDF-Datei zum Download kostet je nach Umfang 0,49 bis 1,49 EUR im Einzelabruf für eine Kamera und 0,49 bis 0,69 EUR für ein Objektiv. Flatrates, die den Zugriff auf das gesamte Labortest-Archiv erlauben, sind ab 2,08 EUR pro Monat buchbar. Eine Flatrate hat keine automatische Verlängerung und wird im Voraus für einen festen Zeitraum gebucht und bezahlt.

Hersteller Zeiss
Modell Otus 1.4/85 mm
Unverbindliche Preisempfehlung 3.999,00 €
Bajonettanschluss Canon EF, Nikon F
Brennweite 85,0 mm
Lichtstärke (größte Blende) F1,4
Kleinste Blendenöffnung F16
KB-Vollformat nein
Linsensystem 11 Linsen in 9 Gruppen
inkl. ED und asphärische Linsen
Anzahl Blendenlamellen 9
Naheinstellgrenze 80 mm
Bildstabilisator vorhanden nein
Autofokus vorhanden nein
Wasser-/Staubschutz nein
Filtergewinde 86 mm
Abmessungen (Durchmesser x Länge) 92 x 124 mm
Objektivgewicht 1.200 g

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Autor

Benjamin Kirchheim

Benjamin Kirchheim, 46, schloss 2007 sein Informatikstudium an der Uni Hamburg mit dem Baccalaureus Scientiae ab. Seit 1998 war er journalistisch für verschiedene Atari-Computermagazine tätig und beschäftigt sich seit 2000 mit der Digitalfotografie. Ab 2004 schrieb er zunächst als freier Autor und Tester für digitalkamera.de, bevor er 2007 als fest angestellter Redakteur in die Lübecker Redaktion kam. Seine Schwerpunkte sind die Kameratests, News zu Kameras und Fototipps.