Lichtstarkes Premium-Weitwinkel

Testbericht: Zeiss Otus 1.4/28

2016-11-25 Mit dem Otus 1.4/28 erweiterte Zeiss seine kompromisslose Festbrennweitenserie in diesem Jahr erstmals um ein Weitwinkelobjektiv. Die bisherigen Otus-Objektive mit 55 und 85 Millimetern Brennweite begeisterten mit ihrer kompromisslos guten Bildqualität mit höchster Auflösung vom Bildzentrum bis zum Bildrand selbst bei Offenblende. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass dies bei Weitwinkelobjektiven, erst recht im Vollformat, ungleich schwieriger zu bewerkstelligen ist. Ob das Otus 1.4/28 den hohen Erwartungen gerecht wird, zeigt unser Test an der D800E, die Nikon uns freundlicherweise zur Verfügung stellte.  (Benjamin Kirchheim)

Die D800E hat zwar mit der D810 längst ein Nachfolgemodell bekommen, ist aber in unserem Testlabor nach wie vor der Auflösungsspitzenreiter von Nikon und braucht sich selbst hinter den 42 und 50 Megapixel auflösenden Boliden von Sony und Canon nicht zu verstecken. Da wir auch das Otus 1.4/55 und 1.4/85 an der D800E getestet haben (siehe weiterführende Links), musste natürlich auch für das Otus 1.4/28 die 36 Megapixel auflösende Vollformat-DSLR ohne Tiefpassfilter herhalten.

Verarbeitung

Mit 4.500 Euro ist das Otus 1.4/28 nicht nur das teuerste Objektiv der Serie, sondern mit einer Länge von knapp 14 Zentimetern und einem Durchmesser von gut elf Zentimetern auch das bisher größte und mit etwas über 1,3 Kilogramm auch das schwerste. Selbst an der nicht gerade zierlichen Nikon D800E wirkt das Objektiv wie ein großer Klopper und stellt so manches Mittelformatobjektiv in den Schatten. Betriebsbereit an der Nikon D800E liegt das Gesamtgewicht bei über 2,3 Kilogramm. Die Verarbeitung des Otus ist dabei tadellos. Das Gehäuse besteht komplett aus mattschwarzem Metall. Der Blendenring, den es nur bei der Nikon-Variante gibt, sowie der Fokusring sind mit einem leicht riechenden Gummi überzogen, was für eine gute Griffigkeit sorgt. Angesichts des großen Durchmessers lässt sich der Blendenring, der direkt am Bajonett liegt, übrigens nicht gut bedienen. An einer DSLR ist das aber kein Beinbruch, denn die Blende kann über die Kamera ohnehin besser eingestellt werden. Das Otus besitzt zwar keinen Autofokus, unterstützt die jeweilige Kamera aber elektronisch, womit entsprechende EXIF-Daten gespeichert werden und die Kamera die Belichtung anhand der eingestellten Entfernung besser berechnen kann.

Das Gehäuse des Otus ist sehr schlicht und edel designt, nur die gravierten und gelb ausgelegten Beschriftungen stechen hervor. Durch den hohen Kontrast lassen sie sich sehr gut ablesen. Trotz des hochwertigen Gehäuses besitzt das Objektiv übrigens keinen Spritzwasser- und Staubschutz. Als innenfokussierende (beziehungsweise hinterlinsenfokussierende) Festbrennweite mit Floating-Lens-Design gibt es aber ohnehin nicht viele Einfallstore für Fremdpartikel und Flüssigkeiten, die im Objektivinneren nichts zu suchen haben.

Handhabung

Der Drehwinkel zum Fokussieren beträgt ungefähr 120 Grad und ist damit angenehm groß. Dabei wird der Schärfebereich von unendlich bis 30 Zentimeter (gemessen von der Sensorebene) durchfahren. Die Naheinstellgrenze ab Objektivfront beträgt sogar nur 15 Zentimeter, womit ein maximaler Abbildungsmaßstab von 1:6,25 erreicht wird. Markierungen an der Schärfeskala lassen die ungefähre Schärfentiefe erahnen. Angesichts der hohen Lichtstärke lässt sich das Otus gut manuell mit einem Blick durch den Spiegelreflexsucher fokussieren. Genauer geht es per Live-View mit Lupenfunktion, dann empfiehlt sich aber die Arbeit von einem Stativ, um den Arbeitsabstand beim Fokussieren und anschließendem Auslösen konstant zu halten.

Besonders erwähnenswert ist die Streulichtblende. Sie gehört selbstverständlich zum Lieferumfang und besteht ebenfalls aus Metall. Innen ist sie mit schwarzem Samt ausgeschlagen, um Reflektionen zu unterdrücken. Die Blende passt sich perfekt ins Objektivdesign ein und wirkt nicht wie bei vielen anderen Objektiven als "aufgesetzter Becher". Man könnte aber fast meinen, dass die Streulichtblende wirkungslos sei, denn einen großen Unterschied konnten wir zwischen den Bildern mit und ohne Streulichtblende nicht feststellen. Das liegt aber daran, dass das Objektiv selbst nicht besonders streulichtempfindlich ist. Zeiss legt bei der Konstruktion großen Wert darauf, Streulichteffekte zu unterbinden, so werden etwa selbst die Linsenränder schwarz lackiert, damit sich hier kein Licht ungewollt selbstständig machen kann.

Bildqualität

Die optische Konstruktion besteht aus 16 Linsen, die sich in 13 Gruppen zusammensetzen und auf dem Distagon-Design beruhen. Acht Sondergläser, ein einseitig asphärisches sowie ein beidseitiges asphärisches Element sollen für die hohe Bildqualität sorgen, die Blende setzt sich aus neun Lamellen für eine möglichst runde Öffnung zusammen. Der Bildqualität haben wir aber nicht nur in der Praxis, sondern auch in unserem Testlabor auf den Zahn gefühlt. Der Labortest inklusive aller Diagramme ist über die weiterführenden Links erreichbar. Er kostet lediglich 50 Cent. Wir bieten aber auch eine Labortestflatrate ab 2,08 Euro monatlich an, die im Voraus bezahlt wird und sich nicht automatisch verlängert. Damit besteht Zugriff auf unser gesamtes Archiv mit über 1.600 Labortests. Nebenbei bemerkt unterstützt ein Kauf uns auch bei unserer Arbeit und Veröffentlichung kostenloser Artikel wie diesem Test.

Obwohl es sich beim Otus 1.4/28 um ein Weitwinkel handelt, dessen Verzeichnung nicht von der Kamera korrigiert wird, beträgt die Verzeichnung weniger als ein Prozent Tonnenform. Das Otus ist damit hervorragend auskorrigiert, in der Praxis fällt die Verzeichnung kaum auf. Auch Farbsäume sind, selbst in den besonders kritischen Randbereichen, kaum messbar. Gegen die Randabdunklung hingegen hilft bei einem so lichtstarken Objektiv auch keine noch so gute optische Korrektur. Mit 1,5 Blendenstufen bei Offenblende F1,4 fällt sie aber nicht allzu stark aus. Beim Abblenden sinkt die Randabdunklung deutlich, bei F2,8 ist es nur noch eine halbe Blendenstufe, ab F4 pendelt sich die Randabdunklung auf einem niedrigen Niveau von 0,2 bis 0,3 Blendenstufen ein. Der sanfte Verlauf der Abdunklung kaschiert zudem bei allen Blenden ein wenig die Sichtbarkeit.

Bei der Otus-Paradisziplin "Auflösung" gibt sich das 1.4/28 keine Blöße (siehe Diagramm aus dem Labortest unten). Bereits bei Offenblende werden im Bildzentrum 63 Linienpaare pro Millimeter (lp/mm) bei 50 Prozent Kontrast aufgelöst, am Bildrand sind es mit 55 lp/mm nur knapp über zehn Prozent weniger. Das sind für ein Weitwinkel hervorragende Werte und angesichts der großen Lichtstärke geradezu phänomenal. Dabei lässt sich die Auflösung durch Abblenden sogar noch gut steigern, das Maximum wird bei F2,8 mit 76 lp/mm im Zentrum und 66 lp/mm am Bildrand erreicht, wobei der Bildrand bis F8 sogar noch auf knapp 70 lp/mm zulegen kann, während die Auflösung im Zentrum dann schon minimal durch die Beugung auf 73 lp/mm abnimmt. Damit erreicht das Otus ähnlich hohe Auflösungswerte wie die anderen beiden Objektive der Serie, und das obwohl Weitwinkelobjektive hier vor allem am Bildrand und bei Offenblende normalerweise große Probleme haben, erst recht am Vollformat.

Fazit

Wer ein kompromisslos gutes Weitwinkel-Objektiv für seine Vollformat-DSLR sucht und weder Größe, noch Gewicht, Preis oder eine manuelle Fokussierung scheut, kommt am Zeiss Otus 1.4/28 praktisch nicht vorbei. Die Bildqualität ist über alle Blenden hinweg phänomenal gut. Bedenkenlos kann man die Offenblende einsetzen, denn selbst hier ist die Auflösung hoch. Einzig die Ränder dunkeln dann etwas ab, was aber aufgrund des sanften Verlaufs nicht weiter tragisch ist. Hervorragend ist auch das optische Verhalten etwa in Gegenlichtsituationen, die das Zeiss Otus 1.4/28 mit kontrastreichen Aufnahmen ohne störende Reflektionen oder Geisterbilder meistert.

Kurzbewertung

  • Exzellente Verarbeitungsqualität
  • Gute manuelle Fokussierbarkeit
  • Herausragende Bildqualität
  • Gegenlichtblende passt perfekt zum Design (und gehört zum Lieferumfang)
  • Sehr hoher Preis
  • Groß und schwer
  • Kein Autofokus

Zeiss Otus 1.4/28 mm mit Nikon D800E (v6.0)

Auflösung MTF


D800E

F1,4F2,0F2,8F4,0F5,6F8,0F11,0F16,0
28 mm62,9 / 55,4 (12 %)71,4 / 62,2 (13 %)76,4 / 65,5 (14 %)75,9 / 66,4 (13 %)74,8 / 68,4 (9 %)72,8 / 69,8 (4 %)70,7 / 69,1 (2 %)65,8 / 64,7 (2 %)

Hersteller Zeiss
Modell Otus 1.4/28 mm
Unverbindliche Preisempfehlung 4.499,00 €
Bajonettanschluss Canon EF, Nikon F
Brennweite 28,0 mm
Lichtstärke (größte Blende) F1,4
Kleinste Blendenöffnung F16
KB-Vollformat ja
Linsensystem 16 Linsen in 13 Gruppen
inkl. ED und asphärische Linsen
Anzahl Blendenlamellen 9
Naheinstellgrenze 300 mm
Bildstabilisator vorhanden nein
Autofokus vorhanden nein
Wasser-/Staubschutz nein
Filtergewinde 95 mm
Abmessungen (Durchmesser x Länge) 109 x 137 mm
Objektivgewicht 1.305 g

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Autor

Benjamin Kirchheim

Benjamin Kirchheim, 46, schloss 2007 sein Informatikstudium an der Uni Hamburg mit dem Baccalaureus Scientiae ab. Seit 1998 war er journalistisch für verschiedene Atari-Computermagazine tätig und beschäftigt sich seit 2000 mit der Digitalfotografie. Ab 2004 schrieb er zunächst als freier Autor und Tester für digitalkamera.de, bevor er 2007 als fest angestellter Redakteur in die Lübecker Redaktion kam. Seine Schwerpunkte sind die Kameratests, News zu Kameras und Fototipps.