Wege zum verwacklungsfreien Foto

Techniken der Bildstabilisierung – Teil 2

2008-01-08 Eine der bedeutsamsten Errungenschaften in der Kameratechnik der vergangenen Jahre ist der Bildstabilisator. Er erweitert den Einsatzbereich von Kameras: Ohne dass man extra ein Stativ mitschleppen muss, kann man unter schlechten Lichtverhältnissen noch brauchbare Aufnahmen machen. Statt mit Blitzlicht die stimmungsvolle Beleuchtung zu ruinieren, kann man mit dem Bildstabilisator eine längere Verschlusszeit riskieren, die normalerweise nur ein verwackeltes Bild ergeben hätte. In unserem zweiteiligen Bericht stellen wir alle derzeitigen Bildstabilisierungssysteme mit ihren Besonderheiten, Vor- und Nachteilen vor. Im heutigen zweiten Teil geht es um CCD-Shift, ISO-Shift, um den Best-Shot-Selector (BSS) von Nikon, Bildstabilisierung per Post Processing und um neue Möglichkeiten dieser Technik.  (Wilfried Bittner)

CCD-Shift

Diese Lösung wurde erst mit der Digitalfotografie möglich, denn nur ein masochistischer Konstrukteur würde den Film horizontal und vertikal verschieben wollen. Bei der ersten Kamera mit CCD-Shift, der Minolta Dimage A1, sah das noch ganz einfach und robust aus (Bild 14). Der Sensor war relativ klein im Vergleich zum Kameragehäuse, es war reichlich Platz für den Verschiebemechanismus, und die Verstellwege waren klein.

Bild 14. Bildstabilisatoren - Minolta AS Antishake der ersten Generation [Foto: Wilfried Bittner] Bild 15. Bildstabilisatoren - CMOS-Einheit Sony Alpha 700 [Foto: Sony]

Mittlerweile sind die Bildsensoren FourThirds oder APS-C, und da wird es schon etwas enger (Bild 15, Sensoraufhängung bei der Sony Alpha 700). Bis jetzt gibt es noch keine Kamera im Vollformat (24 x 36 mm) mit CCD-Shift. Die Vorteile des CCD-Shift sind enorm: Für ein ganzes Spiegelreflexsystem braucht man nur einmal die Beschleunigungssensoren und den Mechanismus für die CCD-Verschiebung im Kameragehäuse zu bezahlen. Vom Fisheye bis zum Supertele kommen alle Objektive in den Genuss des Anti Shake. Besonders die Kombination von AS und lichtstarken Objektiven ist interessant. Bei alten Objektiven muss übrigens die Brennweite manuell in das Kameramenü eingegeben werden, denn die Kameraelektronik braucht diese Information unbedingt zur Berechnung des Verschiebeweges. Es gibt auch keine Probleme mit dezentrierten Linsen. Theoretisch wäre es sogar möglich, den Sensor zu verdrehen und damit das Verkippen der Kamera um die optische Achse zu kompensieren (z. B. wenn man den Auslöser zu ruckartig drückt). In der Praxis macht das aber noch kein Hersteller. Ein Nachteil des CCD-Shift ist, dass man die Stabilisierung nicht im Spiegelreflexsucher beobachten kann. Allerdings haben jetzt immer mehr Modelle LiveView, so dass man den Effekt auf Wunsch auf dem LCD sehen kann.

ISO-Shift – Bildstabilisation über die Sensorempfindlichkeit

Bild 16. Bildstabilisatoren - Nikon Best Shot Selector [Foto: Wilfried Bittner] Das ist eine eher verrufene Methode, denn momentan wird sie hauptsächlich als Marketing-Schnickschnack bei Kompaktkameras ohne einen ordentlichen (und teuren) optischen oder mechanischen Stabilisator angepriesen. Bei Verwacklungsgefahr wird einfach die Sensorempfindlichkeit hochgefahren. Bei den kleinen CCDs mit ihren winzigen Pixeln geht das aber selten gut. Statt verwackelter Bilder bekommt man unverwackelte, aber sehr unschön verrauschte Bilder mit blassen Farben. Im Prinzip ist die Lösung ja ideal, denn sie hilft bei normalem Verwackeln, bei Verkippen und sogar bei bewegten Objekten. Es gibt auch keine optischen Probleme und keine zusätzlichen Baukosten, nur halt das leidige Bildrauschen. Die neue Nikon D3 mit ihrer Sensorempfindlichkeit bis zu ISO 25.600 zeigt, welche Fortschritte die Sensortechnik in den vergangenen zehn Jahren gemacht hat. Es besteht also die Hoffnung, dass in naher Zukunft auch die kleinen Bildsensoren mit geringem Bildrauschen in die höheren ISO-Regionen vorstoßen können.

Nikon BSS

Schon seit vielen Jahren haben die Nikon Coolpix-Modelle die sehr nützliche Betriebsart BSS (Best Shot Selection), mit der man erfolgreich lange Verschlusszeiten ruhig halten kann. Erfahrene Coolpix-Besitzer lassen die Kamera ständig im BSS-Modus. Er funktioniert ganz einfach: Wenn Verwacklungsgefahr besteht, dann lässt man einfach den Finger so lange auf dem Auslöser, bis die Kamera vier bis zehn Aufnahmen gemacht hat (fünf sind üblicherweise genug). Nach dem Loslassen analysiert die Kamera die Aufnahmen, wählt die Schärfste davon aus und speichert nur diese ab. Die erste Aufnahme ist meistens am stärksten verwackelt, weil man ja gerade den Auslöser gedrückt hat, und unter den folgenden Bildern ist meistens ein brauchbar Scharfes (Zufallsprinzip). Mit einer Serienbildschaltung kann man das mit jeder Kamera machen und hinterher daheim die besten Bilder auswählen. Mit BSS geht es halt automatisch.

Der folgende Test hat den gleichen Aufbau wie zuvor in Teil 1 unseres Berichtes (siehe weiterführende Links). Dieses Mal wird mit einer Nikon Coolpix 8400 frei stehend mit maximaler Tele-Einstellung von 85 mm (umgerechnet auf KB) mit vierstufig längerer Belichtungszeit von ¼ s (1/60 > 1/30 > 1/15 > 1/8 > ¼) jeweils zehnmal geschossen.

Bild 17. Bildstabilisatoren - Ohne BSS – 85 mm (umger. auf KB), 1/4 s [Foto: Wilfried Bittner]
Ohne BSS – 85 mm (umger. auf KB), ¼ s

Man sieht: Im Vergleich zur Spiegelreflex sind die Lichtspuren mehr verschnörkelt (Bild 17). Das liegt zum einen an der geringeren Masse der Kamera und zum anderen an der Kamerahaltung. Während die Spiegelreflex mit angelegten Armen an den Kopf gepresst wird (stabile Einheit mit dem Körper), wird die kleine Kompakte vom Körper weg gehalten und taumelt zwischen den beiden Händen herum (eher wie ein Viergelenkgetriebe).

Bild 18. Bildstabilisatoren - Mit BSS – 85 mm (umger. auf KB), 1/4 s [Foto: Wilfried Bittner]
Mit BSS – 85 mm (umger. auf KB), ¼ s

Hier wurde pro Aufnahme der Auslöser jeweils so lange gedrückt gehalten, bis es fünfmal geklickt hatte. Das Resultat ist eindeutig besser (Bild 18), aber die um vier Stufen verlängerte Verschlusszeit war wohl etwas zu optimistisch angesetzt (3 Stufen sind wohl realistischer). Immerhin, für eine so simple Methode ist das Ergebnis verblüffend gut.

Bildstabilisation über Post Processing

Eine ganz andere Lösung ist die Bekämpfung verwackelter Bilder mit einem leistungsfähigen Prozessor in der Kamera. Bei Video-Verarbeitungsprogrammen gibt es bereits Bildstabilisatoren, die den Versatz zwischen den Einzelaufnahmen auf dem PC korrigieren. In der normalen Fotografie ist eine nachträgliche Korrektur auch möglich, jedoch noch nicht richtig im Einsatz. Vor kurzem gelang es einem Experten des BKA, für Interpol einen Kinderschänder zu überführen, indem er dessen per Photoshop verstelltes Porträt wieder restaurierte. Dabei hat er praktisch den Algorithmus des Swirl-Filters (Verwirbelfilter) rückwärts angewandt. Das Gleiche funktioniert auch mit dem Motion-Blur-Filter. Dazu ist es aber nötig, die Richtung und den Betrag der Kamerabewegung während der Belichtung zu wissen. Das heißt, die Kamera sollte zumindest Beschleunigungssensoren haben und die Messwerte an den Bildprozessor weitergeben. Die Bilder zeigen ein mit dem Swirl-Filter entstelltes (Bild 19) und das originale Bild wie im Fall des BKA (Bild 20). Die beiden ineinander montierten Bilder zeigen das mit dem Motion-Blur-Filter von Photoshop entstellte Bild (großes Bild 21) und einen Ausschnitt aus dem scharfen Original (kleines Bild) – der Effekt könnte auch umgekehrt verlaufen.

Bild 19. Bildstabilisatoren - Feuerwehrschlauch-Spritze mit Swirl Filter [Foto: Wilfried Bittner] Bild 20. Bildstabilisatoren - Feuerwehrschlauch-Spritze [Foto: Wilfried Bittner] Bild 21. Bildstabilisatoren - Feuerwehrschlauch-Spritze mit Motion-Blur-Filter [Foto: Wilfried Bittner]
Mit dem Swirl-Filter entstelltes und das originale Bild (wie im Fall des BKA) Mit dem Motion-Blur-Filter von
Photoshop entstelltes Bild – das
könnte auch umgekehrt gehen

Wo kein Bildstabilisator helfen kann

Bild 22. Bildstabilisatoren - Motorrad auf einem Marktplatz [Foto: Wilfried Bittner] Der Bildstabilisator erlaubt eine lange Verschlusszeit ohne Verwacklungsunschärfe. Wenn sich aber das Objekt bewegt, dann gibt es trotzdem verschmierte Bilder (Bild 22). Bei spielenden Kindern, beim Sport, bei Makroaufnahmen bei Wind usw. hilft nur eine kurze Verschlusszeit. Somit hilft also nur die Methode mit ISO-Shift oder ein lichtstarkes Objektiv oder beides.

Ein weniger bekanntes Problem, das hauptsächlich bei Makroaufnahmen oder bei Landschaftsaufnahmen mit sehr nahem Vordergrund besteht, ist die Verschiebung von Vorder- und Hintergrund. Wenn man z. B. eine zusammengesetzte Panoramaaufnahme macht, und die Schwenkachse der Kamera liegt weit vor oder hinter dem passendem Punkt im Objektiv (Nodal Point, Bild 23), dann gibt es beim Zusammensetzen Kummer. Vorder- und Hintergrund verschieben sich zueinander, und die Bilder decken sich nicht richtig. Darum gibt es Bild 23. Bildstabilisatoren - Korrekte Drehachse beim Panoramakopf [Foto: Wilfried Bittner] spezielle Panoramaköpfe für das Stativ, bei denen man experimentell den richtigen Drehpunkt für jedes Objektiv einstellen kann.

Bei Nahaufnahmen mit Bildstabilisator kann dieses Problem auch zum Vorschein kommen. Wenn man z. B. weit vorgebeugt mit dem Nikkor 105 mm Macro VR eine Blume fotografiert und dabei mit der ganzen Kamera und dem Körper auf und ab schwingt, dann entsteht ein Bildversatz wie in dem in zwei Bildern (Bilder 24, 25) simulierten Beispiel. Die Kamera war auf einem Stativ montiert und wurde nach der ersten Aufnahme um einen Millimeter hochgekurbelt. Ein Stabilisator könnte die Bewegungsunschärfe in der eingestellten Entfernung korrigieren, aber die Verschiebung des Hintergrundes bliebe sichtbar.

Bei Nahaufnahmen mit Bildstabilisator kann dieses Problem auch zum Vorschein kommen. Wenn man z. B. weit vorgebeugt mit dem Nikkor 105 mm Macro VR eine Blume fotografiert und dabei mit der ganzen Kamera und dem Körper auf und ab schwingt, dann entsteht ein Bildversatz wie in dem in zwei Bildern (Bilder 24, 25) simulierten Beispiel. Die Kamera war auf einem Stativ montiert und wurde nach der ersten Aufnahme um einen Millimeter hochgekurbelt. Ein Stabilisator könnte die Bewegungsunschärfe in der eingestellten Entfernung korrigieren, aber die Verschiebung des Hintergrundes bliebe sichtbar.

Bild 24. Bildstabilisatoren - Bewegungsunschärfekorrektur [Foto: Wilfried Bittner] Bild 25. Bildstabilisatoren - Bewegungsunschärfe korrigiert [Foto: Wilfried Bittner]


Neue Möglichkeiten der Bildstabilisierung

Mit der zunehmenden Verbreitung von Bildstabilisatoren und mit der ständig verbesserten Bildsensorempfindlichkeit öffnen sich bisher ungeahnte Möglichkeiten für die freihändige Fotografie unter schwachen Lichtverhältnissen. Die Lichtwert-Tabelle (Bild 26) zeigt die Grenzwerte für die verschiedenen Stufen.

Bild 26. Bildstabilisatoren - Lichtwerttabelle [Foto: Wilfried Bittner]
Bild 27. Bildstabilisatoren - Lichtwerttabelle, Lichtverhältnis und Kameraeinstellung [Foto: Wilfried Bittner]

Die letzten beiden Kombinationen (in Bild 27 bzw. der Tabelle  gelb bzw. rot markiert) sind nur mit Bildstabilisator im Kameragehäuse möglich, denn derzeit gibt es noch keine kurzbrennweitigen Objektive mit hoher Lichtstärke und optischem Stabilisator. Wenn man also alle verfügbaren Möglichkeiten ausreizt, dann kann man die Verwacklungsgrenze von anfangs 5.120 Lux auf nur 1 Lux herunterdrücken – eine enorme Verbesserung.

Also, verehrte Herren Konstrukteure in Japan: Wie wäre es mit einem 24 mm 1:1,4 mit optischem Bildstabilisator?

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