Die ganze Flora in Digitalfotos

Projekt "Herbar Digital"

2009-12-25 In aller Stille hat sich auf Initiative des Botanischen Gartens und des Botanischen Museums Berlin-Dahlem einerseits und der Fachhochschule Hannover andererseits im Jahr 2007 ein deutsches Konsortium gebildet, das ein weltweit anstehendes Digitalisierungsproblem grundsätzlich lösen will. Es geht um die automatische, kostengünstige fotografische Digitalisierung von so genannten Herbaren. "Konservativ" geschätzt schlummern bisher an unzähligen botanischen Instituten und Museen mindestens 500 Millionen manuell präparierte Herbarbelege. Das Problem: Diese Unikate lassen sich nur umständlich weltweit zugänglich machen. Die Lösung soll bis 2012 gefunden sein: digitale Erfassungsplätze mit hoher Auflösung und Schärfentiefe. Kürzlich informierte das Konsortium über den Halbzeitstand des Projekts.  (Jan-Gert Hagemeyer, Dennis Imhäuser)

Herbar-Digitalarbeitsplatz, Prototyp der Fachhochschule Hannover [Foto: Fachhochschule Hannover]Wer kennt sie nicht aus seiner frühen Kindheit: die zwischen Löschblättern getrockneten Blüten und Blätter, die man im Kindergarten auf diese Weise haltbar machte – zumindest für eine gewisse Zeit. In den botanischen Wissenschaften weltweit gibt es diese Technik auch. Dort nennt man die systematisch angelegten Sammlungen gepresster und getrockneter Pflanzen und Pflanzenteile Herbare (nach dem lateinischen herba = Pflanze) bzw. Herbarien. Mehr als 500 Millionen Herbare sollen inzwischen in aller Welt von Herbalisten oder Herbalistinnen angelegt worden sein. Diese Herbar-Belege lassen sich physisch nur schwer austauschen und für Interessenten zugänglich machen, da es sich dabei um empfindliche Unikate auf Kartonträgern handelt, die überwiegend nicht flach, sondern dreidimensional sind.

Es liegt daher auf der Hand, die zahlreichen Präparate mit modernen Techniken zu digitalisieren und die hoch aufgelösten Bilddateien einfach austauschbar zu machen. Aber auch dabei sind Darstellungsprobleme zu lösen, um die dreidimensionalen Originale naturgetreu wiederzugeben. Die Fachhochschule Hannover (FHH) hat daher im Jahr 2007 ein Forschungsvorhaben gestartet, das nach Möglichkeiten sucht, die Digitalisierung von Herbar-Belegen zu automatisieren und zu standardisieren und damit die Kosten von derzeit 20 Dollar pro Exemplar um den Faktor 10 auf 2 Dollar zu reduzieren, so dass es möglich werden soll, das durch öffentliche Haushalte und aus Stiftungsetats finanzierte Gesamtvorhaben mit der Bezeichnung "Herbal Digital" in einer Größenordnung von rund 1 Milliarde US-Dollar zu realisieren. In Hunderten von Instituten, Museen und Wirtschaftsunternehmen steht die Investition in meist mehrere derartige automatisierte Herbar-Arbeitsplätze zum Einzelpreis von etwa 50.000 EUR an, so dass das Vorhaben auch einen interessanten kaufmännischen Hintergrund für die Geräte-, Verfahrens- und Software-Hersteller besitzt.

Beispiel-Scan des Herbar Digital Forschungsprojekts [Foto: LaserSoft Imaging]Bisher gab es für diese wissenschaftliche Aufgabe keine Standardlösungen. Bisherige Bastellösungen gehen von der Herbaraufnahme per Digitalkamera, über Flachbettscanner bis zu "umgedrehten" Scannerapparaturen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass weder die Auflösung noch die Schärfentiefe noch das Farbmanagement noch der Workflow bisher ausreichen, um den internationalen Austausch der Herbar-Objekte wissenschaftlich korrekt handhaben zu können. Seit dem Jahr 2007 ist nunmehr ein lockerer Zusammenschluss von wissenschaftlichen Instituten und interessierten Firmen an der Fachhochschule Hannover (FHH) dabei, mit ihrem jeweiligen Know-how einen abgestimmten Workflow für das hochwertige Digitalisieren von Herbaren zu entwickeln. Am 15. September 2009 stellte die FHH mit ihren Partnern aus der Industrie ihr Projekt und den Prototyp eines Scanarbeitsplatzes vor einem Kreis von internationalen Wissenschaftlern vor. digitalkamera.de hatte Gelegenheit, bei der Präsentation "Batch acquisition of plant specimens" als Beobachter und Berichterstatter dabei zu sein.

Gefördert wird das etwa 1,2 Millionen EUR teure Forschungsvorhaben durch das Land Niedersachsen, die VolkswagenStiftung sowie die Arbeitsgruppe Innovative Projekte (AGiP) in Hannover. Beteiligt an Finanzierung und Realisation ist außerdem eine Anzahl von Firmen aus dem Bereich der relevanten Hard- und Softwaretechnik. Dabei sind LaserSoft Imaging aus Kiel, zuständig für die Software und das Farbmanagement, ferner die zu Schneider-Kreuznach gehörige Dresdener Pentacon GmbH mit der Scankamera, die Buchener Kaiser Fototechnik für die Beleuchtungseinrichtung, die Braunschweiger Quatographic Technology für die Monitore, die Eichenzeller isel Germany für den Arbeitsplatz und schließlich die Dassault Systèmes Deutschland mit Sitz in Fellbach, zuständig für das Prozessmanagement. Federführender Projektleiter ist der hannoversche FH-Professor Dr. Dr. Thomas Jaspersen von der Fakultät IV, Wirtschaft und Informatik. In dieser Fakultät werden ferner Einzelprojekte wie das Geschäftsprozessmanagement (Prof. Dr. Manfred Krause) sowie Organisation und Controlling (Prof. Dr. Dr. Thomas Jaspersen) umgesetzt. Außerdem befassen sich zwei weitere FHH-Fakultäten mit dem Projekt: Fakultät II, Maschinenbau und Bioverfahrenstechnik, unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. August Potthast, zuständig für die Automatisierung des Verfahrens, sowie Fakultät I, Elektro- und Informationstechnik, unter Professor Dr.-Ing. Karl Heinz Steinke.

Aus dem umfangreichen Projekt sind für Leser von digitalkamera.de vermutlich besonders drei Bereiche von Interesse: die Ausleuchtung der dreidimensionalen, bis zu 38 mm dicken Präparate mit ausreichender Schärfentiefe, die bestmögliche Aufnahmetechnik mit hoher Auflösung, die zugehörige Kalibration sowie das Farbmanagement und schließlich die Profilierung der unterschiedlichsten Wiedergabegeräte. Alle diese Probleme der digitalen Fotografie finden sich auch hier wieder. Daneben geht es für die Projektentwickler darum, den Prozess der Herbar-Digitalisierung derart zu gestalten bzw. sogar zu automatisieren, dass die weltweit tätigen Herbalisten ihre Alt- und neu hinzukommenden Bestände preiswert (nämlich für möglichst nur 2 US$ pro Stück) und zeitnah bewältigen können.

Herbar-Digitalarbeitsplatz, Prototyp der Fachhochschule Hannover [Foto: Dennis Imhäuser]Die FH Hannover entwickelt dafür einen Arbeitsplatz, der ein effizientes Arbeiten ermöglichen soll. Sie bedient sich dabei eines 3D-Simulationssystems namens "Human", das die virtuelle Konstruktion und Bedienung ermöglicht, ohne immer wieder neue Modelle bauen zu müssen. Stand der Dinge ist ein CNC-gesteuerter Rundtisch aus hochfesten Aluminiumprofilen, der im Automatikbetrieb mit jeweils 180° Drehung über eine USB-Schnittstelle von einem PC gesteuert werden kann. Über einen Barcode wird dabei jedes Herbar erfasst und identifizierbar gemacht. Damit soll sichergestellt werden, dass in einer Stunde 30 Herbar-Belege gescannt und die Kosten für einen solchen Scan-Arbeitsplatz durch die Effizienz wieder hereinkommen können.

Der Beleuchtung kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Denn es geht um die Erstellung von digitalen Bilddateien mit hochauflösenden Details in naturgetreuen Farben. Dazu muss zunächst sichergestellt sein, dass die Ausleuchtung zum einen hell genug ist, zum anderen immer die gleiche Farbtemperatur beibehält. Dieses Problems hat sich die Firma Kaiser Fototechnik angenommen und die Lampen bereitgestellt, die zum Einsatz kommen. Dabei handelt es sich um 55-W-Röhren mit 40 kHz fluoreszierendem Licht. Die Farbtemperatur beträgt 5.400 K, und dank der hohen Frequenz von 40 kHz erlauben die Pentacon Scan6000S mit Schneider Kreuznach Opjektiv [Foto: Pentacon]Lampen ein flimmerfreies Ausleuchten der Herbar-Belege. Dadurch wird zum einen gesichert, dass man die Herbartiefe (in der Praxis bis zu 38 mm) gut ausleuchten kann. Ferner darf bei der Lichttemperatur keine Abweichung mit dem Weißabgleich der Scan-Kamera während des jeweils ca. 1,5-minütigen Scanvorgangs auftreten. Die Leuchten müssen außerdem einen CRI-Wert (Color Rendering Index) von nahe 100 besitzen, um gewünschte Farbräume einzuhalten. In der Aufnahmepraxis müssen die Leuchten später alle 8.000 Stunden gewechselt werden, um sicherzustellen, dass die Farbtemperatur auch tatsächlich 5.400 K beträgt und es keine Farbverschiebungen gibt.

Als Aufnahmegerät ist eine Scankamera vorgesehen. Diese stellt Pentacon mit dem Modell Scan 6000 zur Verfügung. Sie ist in zwei Varianten erhältlich, einmal als Scan 6000S für Objektive von Schneider Kreuznach (mit M39-Gewinde) und als Scan 6000N (mit Nikon-/AF-Anschluss) für Nikon-Objektive. Die Scan-Kameras unterscheiden sich vor allem durch ihre unterschiedliche Auflösung. Mit Objektiven von Schneider Kreuznach und einer Scanfläche von 40 x 40 mm ist mit der Scan 6000S eine Auflösung von 10.000 x 10.000 Pixeln möglich; mit der Scan 6000N, Nikon-Objektiven und einer Scanfläche von 29 x 38 mm noch sehr gute 7.350 x 9.450 Pixel. Die Nikon-Version bringt den Vorteil der Autofokussierung, was bei der Automatisierung des Prozesses von Bedeutung sein könnte. Die Kameras erzeugen RAW-Files einer Größe bis 570 MBytes und erreichen beim Scannen von Herbar-Belegen eine Schärfentiefe von 2 bis 38 Millimeter.

Herbar-Digitalarbeitsplatz, Prototyp der Fachhochschule Hannover [Foto: Dennis Imhäuser]Die Firma LaserSoft Imaging AG aus Kiel entwickelt im Projekt maßgeblich das Software- und Technologiemanagement mit. Ihre Scanner-Anwendungssoftware namens SilverFast ist weltweit marktführend bei der Steuerung von Scannern vieler Hersteller und Marken. Für LaserSoft Imaging ist die Teilnahme an dem Herbar-Projekt daher so etwas wie eine neue "Area of Applications", wie es Gerhard Wolff von LaserSoft Imaging ausdrückt. Zum Einsatz kommen SilverFast Ai IT8 Studio und SilverFast HDR Studio. Dies ermöglicht eine bis zu 48 bit reichende RAW-Datenverarbeitung der Herbar-Belege. Auf diese Weise sollen im künftigen Herbar-Digitalverfahren à la FHH sämtliche Hard- und Software einmal kalibrierbar werden.

Als Ausgabemedium zur Qualitätskontrolle werden TFT-Monitore der Firma Quatographic Technology aus Braunschweig eingesetzt. Auch hierbei geht es letzten Endes darum, das Scan-Ergebnis so darzustellen, dass es mit dem von der Scan-Kamera erzeugten Herbar-Beleg originalgetreu übereinstimmt. Diese projektierten Herbar-Standard-TFTs zeichnen sich daher durch S-IPS-Panels und vor allem durch eine hardwarebasierte Kalibrierung aus. IPS-Panels (IPS = In Plane Switching) besitzen eine hohe Farbstabilität bei wechselndem Blickwinkel (größer gleich 178°), einen hohen Kontrast und hohe Luminanz. Im Gegensatz zur Software-Kalibrierung erreicht die Hardware-Kalibrierung eine Genauigkeit von 10 bis 16 bit im Monitor. Damit die riesigen, bis zu 570 Megabytes großen Herbar-Bilddateien weltweit abgerufen und betrachtet werden können, bringt die Firma Pentacon ihre eigene Software-Entwicklung namens "Rembrandt" ins Rennen. Diese Software ist speziell für das Betrachten und Zoomen von Bildern über das Internet entwickelt worden, ohne komplette Dateien von Servern herunterladen zu müssen.

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