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Woran Schärfe leidet (Teil 3) – Verwackelte Fotos durch Kamerabewegung

2017-07-30 Eine sehr häufige Ursache für unscharfe Fotos ist ganz banal die Bewegung der Kamera während der Aufnahme, auch genannt „Verwackeln“ oder „Verreißen“. Was dagegen hilft und wie man seine eigenen Grenzen findet, zeigt Sam Jost in diesem Fototipp, einem Kapitel aus seinem gedruckt und als E-Book erhältlichen Buch "Scharfe Fotos".  (Sam Jost)

Die folgenden Fotos habe ich mit einem 85-mm-Objektiv aus der Hand aufgenommen:

  • Bild  [Foto: Sam Jost]

In den gezeigten Größen sehen alle drei Fotos scharf aus, doch folgende Ausschnitte zeigen das Problem:

  • Bild  [Foto: Sam Jost]

Diese Größen entsprechen Drucken von 30x20 cm. Bei 1/250 s wurde das Foto scharf, bei 1/125 s ist es bereits leicht verwackelt, bei 1/60 s ist es deutlich verwackelt. Wird die Kamera während der Aufnahme bewegt, wirkt sich das als Unschärfe auf das komplette Bild aus – anders als der Fehlfokus, dessen Auswirkung sich mit dem Abstand zur Kamera verändert.

Wie sehr die Kamera wackelt, hängt davon ab, wie ruhig Du sie halten kannst. Wie groß der Einfluss des Wackelns auf die Schärfe im Foto ist, hängt wiederum ab von der Brennweite des Objektivs, der Empfindlichkeit der Kamera und vor allem von der schon genannten Belichtungszeit.

Kurze Belichtungszeiten helfen

Wird die Kamera während der Belichtung bewegt, dann wird das Foto unscharf. Je länger die Belichtungszeit, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich die Kamera während der Aufnahme bewegt, und desto verwackelter und damit unschärfer wird das Foto. Bei 1/250 s bekomme ich mit meinem 85-mm-Objektiv zuverlässig scharfe Fotos, während ich bei 1/60 s das Foto oft verwackle.

Möchte ich scharfe Fotos, dann achte ich darauf, dass die Belichtungszeit kurz ist. Die hier genannten 1/250 s reichen mir bei Objektiven bis ca. 100 mm Brennweite. Bei längeren Brennweiten brauche ich kürzere Belichtungszeiten.

Lange Brennweiten sind empfindlicher

Je länger die Brennweite des verwendeten Objektivs ist, desto empfindlicher reagiert es auf Bewegungen. Genauer gesagt vergrößern lange Brennweiten die Verwacklungsunschärfe. Deshalb fallen geringe Verwackler bei langen Brennweiten stärker auf. Es ist, als würden wir das Verwackelte durch eine Lupe betrachten. Bei 200 mm brauche ich schon gern 1/500 s, damit die Fotos zuverlässig scharf werden. Bei 1/250 s kann ich mich nicht darauf verlassen, die Aufnahmen nicht zu verwackeln.

Es gibt eine Faustformel, laut der man 1/Brennweite Sekunden oder kürzer belichten soll, um eine gute Chance zu haben, nicht zu verwackeln. Das bedeutet, dass man bei 85 mm Brennweite 1/85 s oder kürzer belichten soll und bei 200 mm Brennweite 1/200 s oder kürzer. Das mag reichen, wenn man von seinen Fotos nur Postkarten druckt oder sehr ruhige Hände hat, für mich reicht die Empfehlung dieser Faustformel nicht aus. Entweder habe ich zu unruhige Hände, oder meine Ansprüche sind zu hoch. Vermutlich beides.

Je länger die Brennweite ist, desto kürzer sollte die Belichtungszeit sein. Während mir beim 85-mm-Objektiv ab 1/250 s alles ausreichend scharf ist, will ich bei einem 200-mm-Objektiv gerne mit 1/500 s fotografieren. Andersherum bräuchte ich beim 24-mm-Objektiv vermutlich nur 1/100 s, damit ich das Foto nicht verwackle. Allerdings bin ich lieber vorsichtig und verwende die 1/250 s für alle Objektive mit weniger als 85 mm. Dies hängt mit der in Kapitel 4.4 erklärten Bewegungsunschärfe zusammen (Anmerkung der Redaktion: das Kapitel veröffentlichen wir als nächsten Fototipp am 14. August).

Ich habe sowohl Fotografen kennengelernt, die bei 85 mm ganz locker noch 1/100 s stillhalten konnten, als auch andere, die mindestens 1/500 s brauchten, so unruhige Hände hatten sie. Dazu haben die Kamera und das Objektiv ebenfalls Einfluss darauf, wie sehr ein Foto verwackelt. Die Nikon D800 beispielsweise und oder andere sehr hochauflösende Kameras sind empfindlich für Unschärfe durch Verwackeln.

Bildstabilisierung hilft etwas

Bei Canon heißt es „IS“ für „Image Stabilizer“, bei Nikon „VR“ für „Vibration Reduction“, bei Pentax „SR“ für „Shake Reduction“: Die Hersteller haben längst erkannt, dass verwackelte Fotos ein Problem sind, und bieten Systeme mit Bildstabilisatoren an. Diese Bildstabilisatoren versuchen, Hand- und Zitterbewegungen auszugleichen, um das Bild ruhig zu halten. Hier ein Vergleich der Schärfe mit und ohne Bildstabilisator:

  • Bild  [Foto: Sam Jost]

Das linke Bild ohne Bildstabilisierung ist, obwohl die Belichtungszeit laut Faustformel ausgereicht hätte, verwackelt. Das rechte Foto ist schärfer.

Für dieses Muster klappte das sehr schön. Insgesamt ist Bildstabilisierung allerdings kompliziert: Jeder Hersteller hat sein eigenes System, oft unterscheiden sich die Bildstabilisatoren sogar zwischen Kameras eines Herstellers, je nachdem, wie hochwertig oder neu diese sind. Zudem gibt es viele technische Unterschiede, wie oder in welche Richtungen Bewegungen ausgeglichen werden. Je nach Situation und Art der Bewegung funktioniert mal die eine und mal die andere Technik besser.

Wie ich im Buch „Manuell belichten“ schrieb, sorgte bei einem meiner Objektive die Bildstabilisierung sogar für verwackelte Fotos, wenn die Belichtungszeiten zu kurz waren. Im Internet gibt es Berichte von Unschärfe (siehe weiterführenden Link) und Geisterbildern durch Bildstabilisierung bei Belichtungszeiten kürzer als 1/500 s. Allerdings musste ich inzwischen feststellen, dass das nicht für jedes stabilisierte Objektiv gilt: Die Stabilisierung meines aktuellen 70-200-mm-Objektiv verwackelt keine Fotos bei kurzen Belichtungszeiten, sondern scheint im Gegenteil manchmal auch bei 1/500 s noch einen nützlichen Effekt zu haben.

Worin sich alle einig sind: Bildstabilisierung sollte man nur einschalten, wenn man aus der Hand fotografiert und sie von der Belichtungszeit her braucht. Doch wann braucht man sie? Wann Du sie brauchst, kannst nur Du selber für Dich, Deine Kamera und jeweils die Objektive herausfinden. Wie Du dies machst, erkläre ich weiter unten unter der Überschrift "Finde deine Grenzen".

Ich halte die Bildstablisierung bei Brennweiten unter 100 mm für überflüssig. Selbst wenn mit ihr längere Belichtungszeiten möglich sind, würden die Belichtungszeiten meist so lang, dass es zu Unschärfe aufgrund von Bewegungen im Motiv kommen kann.

Kamera ruhig halten

Manche Menschen haben ruhige Hände, andere eher zittrige Finger. Dazu sind unsere Hände ruhiger, wenn wir frisch und ausgeruht sind, und unruhiger, wenn wir frieren, aufgeregt sind oder Hunger haben. Doch es gibt ein paar Tricks, um die Kamera ruhiger zu halten:

  • Halte die Kamera nicht mit einer, sondern mit beiden Händen fest. Eine Hand alleine hält unruhiger als beide zusammen.
  • Halte beide Arme beim Fotografieren so dicht am Körper wie möglich. Der Körper ist durch seine Masse ruhiger als die Arme, und wenn die Arme sich am Körper halten, bewegen sie sich ebenfalls weniger.
  • Stütze Dich auf, lehne Dich oder direkt die Kamera an etwas Unbewegliches wie einen Türrahmen, eine Wand oder eine Laterne.

Die Steigerung dieser einfachen Hilfsmittel ist, die Kamera komplett aus den Händen zu legen. Auf einen Stuhl, Schrank, Poller oder auf ein Auto. Ein Bohnensack oder Kirschkernkissen ist hilfreich, um die Kamera auf unebenem Untergrund besser ausrichten zu können. Sport- und Naturfotografen, die mit langen Teleobjektiven arbeiten, verwenden gern Einbeinstative, auf denen sie das Objektiv aufstützen. Auf diese Weise verringern sie das Verwackeln und bleiben trotzdem sehr beweglich mit der Kamera. Am vielseitigsten und stabilsten ist ein Dreibeinstativ.

  • Bild  [Foto: Sam Jost]

Doch selbst wenn Du die Kamera auf ein Dreibeinstativ setzt, musst Du sie ja noch auslösen. Und der Druck auf den Auslöser kann schon reichen, um eine Kamera auf einem Stativ zum Wackeln zu bringen. Um noch weniger zu wackeln, müsstest Du die Kamera auslösen, ohne sie anzufassen. Die einfachste Form dafür ist ein Kabelauslöser. Ganz ohne Kontakt gibt es Fernauslöser per Infrarotsender, und von verschiedenen Herstellern gibt es Systeme, die Kameras über Funk auslösen können.

Fortsetzung auf Seite 2

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Sam Jost

Sam Jost, 54, besitzt das seltene Talent, Einsteigern komplexen Lernstoff mit Leichtigkeit und aufs Wesentliche reduziert nahebringen zu können. Seine Bücher "Manuell belichten", "Scharfe Fotos" und "Farbmanagement für die Digitalfotografie" gehören zu den meist gekauften E-Books auf digitalkamera.de und sind auch als gedruckte Bücher erhältlich.

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