Rubrik: Bildgestaltung

Rhythmus im Blut ...

2002-05-06 Ob Werbefoto oder Landschaftsidylle: Selbst das schönste Motiv macht noch kein herausragendes Bild, wenn wir nicht unseren ganz persönlichen "Senf" hinzugeben, d. h. wenn wir den Inhalt unserer Bilder nicht in eine adäquate, die Aussage stützende, beziehungsweise steigernde, Form geben.  (Jürgen Rautenberg)

Stellen Sie sich vor, Sie möchten tanzen, aber die Musik spielt nicht schön rhythmisch, sondern in einem Chaos aus Dreiviertel, Vierviertel- und Siebenvierteltakten. Das hörte sich weder gut an, noch wäre das Tanzen ein Genuss. Den Genuss bringt nur eine geordnete Aneinanderreihung gleicher Takte. Ordnung muss eben sein!

Gemeint ist hier nicht stumpfe Einheitlichkeit oder Wiederholung. Hier geht es um die kreative Ordnung, die dem Betrachter die Gesamtheit der Motivelemente in einer Weise darbietet, die dem Auge wohltut, es erfreut, anreizt und das Ansehen zum Genuss macht. Nicht anders als in Musik, Theater, Malerei, Literatur; in kreativen Medien also, wo der Künstler seine Ideen in eine dem Motiv adäquate, künstlerische Form, alias kreative Ordnung, bringt. Warum sollte das in der Fotografie anders sein?

Zur Erläuterung dienen vier formal äußerst einfache Fotos, um dem Betrachter das jeweils ordnende Prinzip isoliert und dadurch eindeutig nachvollziehbar aufzuzeigen. Die Ordnung des ersten Bildes beruht auf einem Begriff, den man in der Musik als "Kontrapunkt" bezeichnet; zwei unterschiedliche Formelemente – Bojen und Spiegelung von Pfählen – stehen einander gegenüber, korrespondieren miteinander. Das genügt, damit das Bild vom Betrachter unterbewusst akzeptiert und für gut befunden wird.

Beim zweiten Foto bilden die parallelen senkrechten Felsformationen einen Rhythmus. Zwar ist schon der reale Anblick dieses gewaltigen isländischen Basaltgebildes ein Erlebnis. Die Aussagekraft wurde jedoch mit der Wahl exakt dieses Motivausschnittes zusätzlich gesteigert.

Auf dem dritten Foto ist es, neben den kräftigen Hell-Dunkel- und Warm-Kalt-Kontrasten, ebenfalls die rhythmische Konstellation der Boote zueinander, die den Blick des Betrachters festhält. Sollten Ihnen Abstände und Ausrichtung der Boote nicht exakt genug sein? Genau das bringt es auf den Punkt: Kreativität ist nicht mit Zollstock und Winkelmaß messbar!

Bringen wir die kreisende Form des vierten Bildes von Reinhard Vöhringer in Bezug zur Musik, dann klingen Walzerrhythmen an. Deren Dreivierteltakt steht für "beschwingt", "berauschend", "bewegt". Bewegung, ergänzt durch die Farbkleckse der Autos, wird auch von den ovalen Formen des Garagengebäudes erzeugt – für den empfindenden Betrachter zumindest, aber ein Fotograf kommt nur zu sprechenden Fotos, wenn er sich seine Empfindungsfähigkeit erhalten hat. Auf diese Weise kann eine zunächst abstrakte, nüchterne graphische Form (hier Kreis und Oval) den Eindruck eines emotionalen Geschehens (hier Bewegung, Tanz) hervorrufen, ergänzen, verdeutlichen; wie immer Motiv und Einstellung des Betrachters beschaffen sind.

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