Rubrik: Bildgestaltung

Grafik, der Partner des Motivs

2002-10-07 Jedes Bild besteht aus dem eigentlichen Motiv und dem Umfeld. Letzteres kann seine Aufgabe auf unterschiedliche Weise erfüllen. Es kann die Motivaussage stören, sie ergänzen oder zum Beispiel als rhythmisch betontes grafisches Element mit dem Motiv korrespondieren. Oder das Motiv selbst kann ein solches grafisches Element sein.  (Jürgen Rautenberg)

  • Bild Blüte vor Diagonale [Foto: Jürgen Rauteberg]

    Blüte vor Diagonale [Foto: Jürgen Rauteberg]

Ein grafisches Element ist zunächst nichts als ein Stück nüchterner Geometrie. Fotografisch schlüssig eingesetzt kann es Empfindungen assoziieren und ein Eigenleben führen. Stellen Sie sich ein schweres, schwarzes Quadrat nahe dem unteren Rand eines Bildes vor. Kaum jemand dürfte das als leichtes und bewegliches Etwas ansehen; es wirkt eher lastend, sperrig und unbeweglich. Eine völlig andere Empfindung ruft es hervor, wenn es seitlich unter dem oberen Bildrand schwebt. Eine waagerechte Linie spricht uns anders an als eine diagonale, ein Oval anders als ein Dreieck, eine rhythmisch angeordnete Formenfolge anders als ein Chaos. Enthält ein Bild solche Elemente als Umfeld oder Motiv, dann erleben wir sie emotional, ob wir es wollen oder nicht; unbewusst eben. Um solche Motive geht es in diesem Tipp.

  • Bild Shanty - Fischernetz [Foto: Jürgen Rauteberg]

    Shanty - Fischernetz [Foto: Jürgen Rauteberg]

Das erste Bild zeigt ein unscheinbares blasslila Blümchen vor einem kräftigen diagonalen Schwarz-Weiß-Rhythmus. Ein starker Kontrast; die Blüte müsste eigentlich davon unterdrückt werden. Aber Kontraste sind ein hervorragendes Mittel, um auf etwas hinzuweisen oder zu polarisieren. In diesem Fall wird die Zartheit der Blüte gegenüber der harten Grafik in besonderer Weise hervorgehoben. Der Begriff "Mengenkostrast" besagt, dass ein kleines, kontrastierendes Bildelement sich gegen eine große Masse durchsetzt oder sogar von ihr in der Wirkung gestärkt werden kann.

Das zweite Bild – man könnte es "Shanty" nennen – zeigt real nichts als ein zum Trocknen aufgehängtes Fischernetz. Hier geht es nicht um grafisches Umfeld; der Motivausschnitt selbst ist das grafische Element: Sauber gefaltet, wiederholt sich die Form der Halteschnüre zu einer senkrechten Reihung; einem grafisch aktiv und positiv wirkenden Muster, umspielt von dem Gekräusel des Garnes. Hinzu kommen die Schwimmkorken, die in ihrer Anordnung zu Notenpunkten werden (auch wenn diese Notenlinien nicht waagerecht verlaufen). Kommt ein Fotograf vorbei, der für eine so kleine, feine Episode sensibilisiert ist, dann braucht er nur noch einen passenden Ausschnitt zu wählen, der alles, was nicht dazugehört, außerhalb des Bildfeldes lässt. Denn nur, wenn nichts vom Motiv ablenkt, gibt es seine Schönheit preis.

  • Bild Schiffskessel [Foto: Jürgen Rauteberg]

    Schiffskessel [Foto: Jürgen Rauteberg]

Das dritte Bild besteht aus zwei gestalterisch gleichwertigen, parallelen Elementen. Einmal einem kräftigen Stück Stahl, teils verrostet, teils von Kalksinter bedeckt, teils von kräftigem, stark strukturiertem Blau, mit dem der ausgediente Schiffskessel wohl einmal gestrichen war. Dem gegenüber stehen grafische Formen; eine Senkrechte, eine kleine Diagonale, ein Kreissegment und rhythmisch verteilte, dem Kreissegment entsprechende Schraubmuttern. Beide Elemente für sich genommen wären kaum einen Blick wert. Strukturen und Formen gemeinsam aber wachsen im gewählten Ausschnitt zum grafisch betonten, dynamischen Blickfang zusammen.

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