Rubrik: Bildgestaltung

Das "Fotografische Auge"

2001-04-09 "Welch ein Foto – der hat ein fotografisches Auge!" denkt man manchmal, wenn man staunend eine besonders gelungene Fotografie betrachtet. Aber gibt es den Fotografen, der das richtige Sehen gepachtet hat, wirklich? Gibt es überhaupt DAS Motiv? Glücklicherweise nicht, denn das führte ohne Zweifel irgendwann zur Langeweile. Was aber unterscheidet den Knipser vom Könner?  (Jürgen Rautenberg)

  • Bild Selbstbildnis im konvexen Spiegel [Foto: Jürgen Rauteberg]

    Selbstbildnis im konvexen Spiegel [Foto: Jürgen Rauteberg]

So verschieden die Menschen sind, so verschieden sind die Ansätze. Der Eine findet "sein" Motiv auf den ersten Blick, der Andere begnügt sich mit Motiven, die andere schon millionenfach festhielten. Der Eine macht Bilder, die auf Anhieb ansprechen, die des Anderen bleiben ewig Mauerblümchen. Einem dritten fehlt einfach Kreativität und der vierte bekommt nichts gescheites zustande, weil er seine Gerätschaft nicht wirklich kennt. Vier Anforderungen sollte ein Fotograf erfüllen:

Wer gute Bilder machen will, muss ein Motiv zunächst einmal erkennen. Dem Einen gelingt das ohne Mühe, der Andere muss sein Auge schulen. Gehen Sie mit offenen Augen durch die Welt – das ist die erste Forderung. Je größer Ihr Interesse am Leben, um so mehr sehen Sie, um so mehr Interessantes lernen Sie kennen – und erkennen – und fotografisch verarbeiten. Fotografie ist halt ein "kreatives Medium" wie Malerei, wie Musik, Tanz, Theater. Und wie immer man persönlich dieses "kreativ" übersetzt; ohne Kreativität wird niemand mit der Fotografie einen Blumentopf gewinnen.

Manchmal schlummert Kreativität nur und lässt sich wecken. Suchen Sie das Wesen, die Seele des Motivs – das ist die zweite Forderung! Sehen Sie bewusst. Nehmen Sie Ihre Umgebung nicht nur wahr, sondern hinterfragen Sie: Was ist das Besondere an diesem Blick? Warum reizt er mich? Welches ist die Essenz dieser Landschaft? Ines E. Roberts, englische Fotografin, bringt es auf den Punkt: "Natur, durch die Kamera gesehen, kann ein äußerstes Chaos von Linien, Flächen und Farben sein. In ihr enthalten ist 'mein Bild', das befreit und sichtbar gemacht werden muss wie der Bildhauer im Atelier aus einem rauhen Stein oder Holzklotz eine neue Form schafft. Meine Naturfotos sind nie eine exakte Replik der originalen Szene. Ich versuche vielmehr, das sichtbar zu machen, was aus meiner Sicht den Inbegriff des Motivs darstellt."

  • Bild Stillleben [Foto: Jürgen Rauteberg]

    Stillleben [Foto: Jürgen Rauteberg]

Die dritte Forderung: Wer will, dass seine Bilder ansprechen, muss sich mit der Wirkung der wichtigsten Gestaltungsmittel vertraut machen; mit Form, Farbe und Licht. Und er muss wissen, wann ein Querformat aussagekräftiger als ein Hochformat ist, wann der Sonnenstand nicht ideal ist, wann Unschärfe die Aussage eines Bildes verstärkt. Letzteres wiederum bedingt die vierte Forderung: Man muss sein Handwerkszeug gezielt einzusetzen wissen.

Der weit gespannte Bogen persönlicher Aussagekraft soll hier durch nur zwei Bilder für fotografische Feinschmecker erläutert werden: An engen, gefährlichen Hof- oder Straßenausfahrten warnen leicht konvexe Spiegel Verkehrsteilnehmer vor Gegenverkehr. Gisela Paqué aus den Niederlanden, unterwegs mit einem bunten Schirm, sah sich in einem solchen Spiegel und schoss das Foto. Sie sah und reagierte spontan. Das ist das eine Ende des Bogens.

Wolfgang Bischoff, Teilnehmer an einem Stillleben-Seminar in Zwiesel, konzentrierte sich eine geschlagene Stunde lang, bis er mit Auswahl, Aufbau und Ausleuchtung seines Motivs endlich zufrieden war; bis er es weitgehendst vollendet fand. Das ist das andere Ende des großen Bogens, der sich vom spontanen – Sehkünstler, möchte man fast sagen – bis zum Genießer des Erarbeitens, ja, des Vorausplanens, des im Kopfe Entwickelns von Bildern spannt. Finden Sie Ihren Platz innerhalb des Bogens und sowohl Sie als auch die Betrachter werden sich an Ihren Ergebnissen erfreuen.

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